Aufgrund seiner günstigen klimatischen Situation und der Lage an Furten über die Lahn und die Dill lassen sich Siedlungen auf dem Gebiet Wetzlars seit 7500 Jahren in der späten Steinzeit, der Bronzezeit, dann in der keltischen La-Téne-Zeit nachweisen. Seit dieser Zeit sind die Eisenverarbeitung und Grubenfelder für Kupfer, Silber und Gold bezeugt. Es folgen germanische Besiedelungen über 1400 Jahre, römische Militärlager scheinen selbst nach der Schlacht im Teutoburger Wald weiter bestanden zu haben.

Eine erste Erwähnung erfährt der Ort im Rahmen einer Schenkung im Lorscher Codex aus dem Jahr 832. Urkundlich ist Wetzlar jedoch erst seit 943 gesichert. Eine Salvatorkirche ließ der Konradiner Gerhard 897 als Vorgängerbau des Marienstiftes weihen. Seine Söhne gründeten zu Beginn des 10. Jahrhunderts das Kollegiatsstift, den heutigen Wetzlarer Dom.

Kaiser Friedrich I. Barbarossa ließ im Wetzlarer Gebiet eine Reichsvogtei einrichten und stellte 1180 die Bürger Wetzlars denen Frankfurts gleich. Wetzlar wurde gleichzeitig Freie und Reichsstadt. Zugleich ließ er zum Schutz der Stadt und um die Wetterau als Reichsland zu sichern, hoch über Wetzlar die schon länger bestehende Reichsburg und kaiserliche Münzstätte Karlsmunt um- und ausbauen.

Seit 1250 war die Stadtbefestigung mit ca. 1700 Metern Ringmauer und fünf Stadttoren fertiggestellt, die steinerne Lahnbrücke 1288 erstmals erwähnt. Die aufblühende Stadt veranlasste zahlreiche Orden zu Klostergründungen. Die Bedeutung Wetzlars wuchs im 13. Jahrhundert durch den blühenden Bergbau und den Eisenhandel. Mitte des 14. Jahrhunderts hatte die Stadt ihren wirtschaftlichen Höhepunkt erreicht. Auf 6000 Einwohner angewachsen, war sie nach Frankfurt mit 10 000 Einwohnern die bedeutendste der Region.

Der Abstieg zur Bedeutungslosigkeit begann 1334 mit einem Stadtbrand. 1340 wütete die Pest, was zur Ermordung aller jüdischen Mitbürger führte, die man dafür verantwortlich gemacht hatte. Zugleich wurde man so viele Gläubiger los. Jahrzehntelange Fehden mit den Solmser Grafen, die sich Wetzlar zu gern einverleibt hätten, endeten erst 1392.

Der Kaiser bemühte sich, vor allem 1349, 1360 und 1364 in der Falkensteiner Fehde und 1373 im Sternerkrieg die freie Reichsstadt zu schützen.

Um sich Geld zu beschaffen, hatte die Stadt Leibrentenbriefe ausgegeben, deren Schulden sie bald aber nicht mehr begleichen konnte. Das führte – wie in anderen Reichsstädten zu dieser Zeit auch – 1370 zu einem Aufstand der Zünfte gegen die regierenden Schöffen. 1387 geriet die Stadt unter Zwangsverwaltung, konnte jedoch Mitglied des Rheinisch-Schwäbischen Städtebundes werden. Versuche des Johann v. Weidbach und weiterer Bürger, Wetzlar an Hessen anzulehnen, endeten vergeblich 1417 mit ihrem Tod. Im gleichen Jahr erhielten im Namen des Kaisers die Grafen von Nassau-Weilburg Schirm- und Schutzrechte. Damit war die Reichsunmittelbarkeit zwar nicht reichsrechtlich, jedoch de facto dahin. Als 1418 Wetzlar erneut die Zahlungen einstellte, wurde 1422 durch König Sigismund die Reichsacht und im gleichen Jahr die verschärfte Aberacht verhängt. Zwar noch immer Reichsstadt, sank die Zahl der Einwohner der völlig verarmten Stadt auf 2000.

Sehr früh, bereits 1525, erreichte Wetzlar die Reformation. 1544 zu den Evangelischen Reichsständen gehörig, bleibt, weil man sich darauf geeinigt hatte, dem Marienstift der Chorraum, der evangelisch-lutherischen Gemeinde das Kirchenschiff für ihre Gottesdienste. Die 1586 aus Wallonien zugezogenen calvinistischen Glaubensflüchtlinge erhielten die ehemalige Franziskanerkirche, heute „Untere Stadtkirche“, zugewiesen.

Insbesondere in den Jahren 1529-1532 und 1536-1564 litt Wetzlar mit mehr als 1100 Opfern schwer erneut unter der Pest. Mehrere Hochwasser von Lahn und Dill vergrößerten das Elend. 1619 besetzten spanische Truppen und kurzzeitig die Armee Tillys die Stadt, die die Umgebung plünderten. Erneut kam es zu Pestausbrüchen, 1643 richtete Hochwasser wieder schwere Zerstörungen an. Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte die Stadt den Tiefpunkt erreicht. Wetzlar zählte nur noch 1500 Einwohner.

Weil der Sitz des höchsten Gerichts des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Speyer, während des Pfälzischen Erbfolgekrieges weitgehend zerstört worden war, wurde es 1689 nach Wetzlar verlegt. Endlich ging es wieder aufwärts. Die Einwohnerzahl stieg um etwa 1000 Personen durch den Zuzug der Gerichtsangehörigen mit ihren Familien und Bediensteten. Handwerker fanden wieder ein Auskommen, Gasthäuser und Kaufleute befriedigten die Ansprüche der neuen Mitbewohner. Während der „Großen Visitation“ 1767-1776 am Reichskammergericht war die ständige Anwesenheit von Hochadel und reichen Familien in Wetzlar so hoch, wie sonst nur auf Reichstagen in Regensburg oder in der kaiserlichen Hauptstadt Wien. Insgesamt herrschten zu dieser Zeit deutlich liberalere Verhältnisse als in den übrigen Teilstaaten Deutschlands.

Wie seine juristischen Vorväter wird der 23jährige Dr. jur. Johann Wolfgang Goethe 1772 für einige Monate Praktikant am höchsten Gericht, um Erfahrungen zu sammeln. Durch seine unglückliche Romanze zu Charlotte Kestner, geb. Buff, und den Suizid seines Freundes und Kollegen Karl Wilhelm Jerusalem inspiriert, machte Goethe mit seinem Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ Wetzlar weltbekannt.

Zunächst 1796 von den Truppen des Erzherzogs Karl von Österreich geschlagen und zurückgedrängt, wird Wetzlar 1797 von den französischen Revolutionstruppen besetzt und zu ihrem Hauptsitz gemacht. Im Zuge der Mediatisierung verlor Wetzlar 1803 die Reichsunmittelbarkeit. Als Grafschaft Wetzlar wird die Stadt 1806-1810 Teil des kurerzkanzlerischen Staates des Kurfürsten Karl Theodor von Dalberg.

Als Kaiser Franz II. 1806 die Reichskrone niederlegt, wurden das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und damit auch das Reichskammergericht aufgelöst. Die von Dalberg statt letzterer gegründete Hochschule bestand nur bis 1816.

Nach dem Wiener Kongress fiel Wetzlar 1815 an Preußen und wird 1822 Landratssitz des neuen Landkreises Wetzlar. Als isolierte Exklave ca. 80 Kilometer entfernt von preußischen Territorien, bleibt Wetzlar verarmt und veranlasst viele Einwohner durch die reaktionäre preußische Politik um 1830 zur Auswanderung.

Selbst als nach dem Deutschen Krieg die okkupierten Länder Nassau und Kurhessen1868 zur neuen preußischen Provinz Hessen-Nassau vereint werden, bleibt Wetzlar weiterhin Exklave der Rheinprovinz. Erst 1932 sollte Wetzlar der neuen Provinz zugeschlagen werden.

Die Industrialisierung Wetzlars verzögerte sich nach all diesem um viele Jahrzehnte. Erst mit der Eröffnung zweier Bahnlinien 1862/1863 gewann die Stadt nach neuerlicher zehnjähriger Verzögerung die notwendigen Anschlüsse zu Absatzmärkten für ihre Produkte der Eisenerzeugung und -verarbeitung, später dann der optischen und feinmechanischen Industrie.1

 

Betrachtet man das historische Schicksal Wetzlars, verwundert nicht, dass offensichtlich im ganzen 17. Jahrhundert kein Goldschmied mit längerer Schaffenszeit nachweisbar ist. Was sich erst mit der Verlegung des Reichskammergerichts 1689 änderte.

Der Goldschmied Matthias Wagner, Nr. 6, einziger Gründer einer für diese Städte oft so typischen Dynastie, kam hervorragend in seiner Geburtsstadt Augsburg ausgebildet gegen 1708 nach Wetzlar. Sein um 1710 gearbeitetes Ziborium, die einzige bisher nachgewiesene Arbeit aus seiner Werkstatt, ist von hervorragender Qualität. Durchaus noch mit Elementen der Renaissance zeigt Wagner, dass er alle Techniken seines Berufs meisterhaft beherrscht.

Es verwundert schon, dass aus dem ganzen 18. Und 19. Jahrhundert lediglich ein Suppenlöffel seines Sohnes Georg Fried(e)rich, Nr. 13, die bisher einzige aus Wetzlar nachgewiesene profane Silberarbeit ist. Ein Grund dafür könnte sein, dass das Beschauzeichen, wie für viele der freien Reichsstädte, der Adler, hier sowohl doppelköpfig als auch einköpfig mit nach rechts wie nach links gewendetem Kopf dazu geführt hat, dass manche aus Wetzlar stammende Arbeit anderen Reichsstädten fälschlich zugeordnet sein dürfte. Nur wenn sich das W auf der Brust des Adlers befindet, ist die Zuordnung von vornherein klar.

Dass die Zahl der anschließend zu würdigenden kirchlichen Silberarbeiten ebenfalls mehr als überschaubar bleibt, hat zwei Gründe. Die Isolation Wetzlars selbst noch bis weit ins 19. Jahrhundert ist der eine, da es weder für profanes noch für kirchliches Silber einen Absatzmarkt gab. Der andere Grund besteht darin, dass weder für Wetzlar und zur Rheinprovinz gehörende Orte der Umgebung, noch für Orte der Landeskirche von Hessen-Nassau Inventare existieren, die Hinweise für Standorte Wetzlarer Kirchensilbers geben können.

Die im Abstand von fast 30 Jahren von Johann Ulrich Höltzer, Nr. 15, im Stil des Rokoko gearbeiteten Kelche zeugen von soliden handwerklichen Fähigkeiten. Dass der zweite, im Klassizismus entstandene Kelch keine Merkmale des Stils der Zeit trägt, hat seinen Grund darin, dass, wie auch im übrigen Hessen, ein benötigter zweiter Kelch, wie hier zum Beispiel, einem schon in der Gemeinde existierenden Kelch so genau wie möglich nachgearbeitet wurde, ohne sich um den gerade herrschenden Zeitstil zu kümmern.

Die leider trotz ihres erhaltenen Futterals schwer beschädigte Abendmahlskanne des Johann Jacob Wagner, Nr. 16, in guter handwerklicher Qualität unterscheidet sich von profanen Kannen der Zeit typischerweise durch den stark erhöhten Stand, um sie von weitem ansehnlicher zu machen. Gerade dass ist wohl leider auch ein wesentlicher Grund, für Beschädigungen durch Dysbalance in gefülltem Zustand.

Die Chrismaria des Fridericus Daum, Nr. 22, aus dem späten 19. Jahrhundert für die katholische Kirchengemeinde des Wetzlarer Doms schließlich, sind exakt gearbeitet, aufgrund der oben geschilderten Gründe wohl noch komplett ein in seiner Werkstatt entstandenes Produkt.

Mit diesem Beitrag erhofft sich der Autor, dass falsch zugeordnete profane und kirchliche Silberarbeiten Wetzlars in Zukunft ihrem wahren Entstehungsort zugordnet werden.
 

Anmerkungen:

1. Kurze Geschichte Wetzlars, zit. nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Wetzlar.- Wappen Wetzlar:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wappen_Wetzlar.svg.- Wetzlar – Auszug aus der Topographia Hassiae von Matthäus Merian 1655:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wetzlar#/media/Datei:Wetzlar_De_Merian_Hassiae.jpg.
 

Die Beschauzeichen von Wetzlar

Die Goldschmiede von Wetzlar - Lebensdaten und Werke
Tabelle mit den vollständigen Lebensdaten aller Wetzlarer Goldschmiede, einschließlich der Abbildung ihrer bekannten Werke.
Tabelle Wetzlar mit Lit.-Verzeichnis.pdf
PDF-Dokument [919.2 KB]
Druckversion | Sitemap
© Dr. Dr. Reiner Neuhaus