Bevor die Arbeiten der Waldecker Goldschmiede allgemein und dann in den einzelnen Orten des ehemaligen Fürstentums gewürdigt werden, ist es sinnvoll, eine kurze Geschichte des kleinen Landes voranzustellen. Denn es ist offensichtlich, dass ihre größte Gemeinsamkeit die Abhängigkeit von Aufträgen des gräflichen und später fürstlichen Hauses und ihrer Hofhaltung war. Dabei interessiert vor allem der Zeitraum, in dem Waldecker Goldschmiede biographisch und durch urkundliche oder erhaltene Werke fassbar sind, also vor allem das 17. bis 19. Jahrhundert.
1495 existierten allein die beiden gräflichen Linien Waldeck-Wildungen und Waldeck-Eisenberg. Beide Linien hatten sich 1431 bzw. 1438 aus verschiedenen Gründen, vornehmlich aber aus großer Finanznot unter die Lehenshoheit der Landgrafschaft Hessen (ab 1576 Hessen-Kassel) begeben müssen. Philipp IV. von Waldeck-Wildungen und Philipp III. von Waldeck-Eisenberg führten 1526 und 1529 die Reformation ein.
Nach mehreren Erbteilungen, die zum Entstehen weiterer Linien und Nebenlinien geführt hatten, gelang 1692 die Wiedervereinigung zur neueren Wildunger Linie. Durch Erbvertrag fiel 1625 auch die kleine Grafschaft Pyrmont an die Grafen von Waldeck, die sich von nun an Grafen von Waldeck und Pyrmont nannten.
Der bedeutendste der Waldecker Grafen, Georg Friedrich (1664-1692), Graf und Herr zu Waldeck, Pyrmont und Cuylenburg, Freiherr zu Tonna, Paland, Wittem, Werth1 wurde von Kaiser Leopold I. als Fürst von Waldeck 1682 in den Reichsfürstenstand erhoben.2
Ohne männliche Erben, führte er 1685 durch Vertrag mit seinem Vetter, dem Grafen Christian Ludwig aus der neueren Wildunger Linie, die Primogenitur im Gesamthaus Waldeck ein, die 1697 von Kaiser Leopold I. bestätigt wurde. Nach seinem Tod wurde so 1692 Christian Ludwig Alleinherrscher über die Gesamtgrafschaft. 1712 von Kaiser Karl VI. in den erblichen Fürstenstand erhoben, nannte sich sein Nachfolger Friedrich Anton Ulrich seitdem Fürst von Waldeck und Pyrmont.
Die Wirren nach der französischen Revolution und die napoleonische Zeit überstand das Fürstentum unbeschadet. Es war 1807 dem Rheinbund beigetreten, 1815 dem Deutschen Bund und 1832 dem Deutschen Zollverein. 1847 wurde auf Betreiben Preußens auch de jure die Lehenshoheit von Hessen-Kassel über Waldeck durch Schiedsspruch des Bundestages aufgehoben. Erst 1849 gelang es, die seit 1645 in Personalunion mitregierte Grafschaft Pyrmont mit Waldeck zum Fürstentum Waldeck-Pyrmont staatsrechtlich zu vereinigen. 1862 hatte Waldeck-Pyrmont eine Militärkonvention mit Preußen geschlossen, stand 1866 also auf der richtigen Seite im preußisch-österreichischen Krieg und entging, im Gegensatz zum Kurfürstentum Hessen-Kassel, der Annexion.
Da das chronisch finanzschwache Fürstentum seine Beiträge zum Norddeutschen Bund nicht zahlen konnte, musste Waldeck-Pyrmont nach einigem hin und her 1867 einen Akzessionsvertrag mit Preußen schließen, blieb aber nominell selbstständig. Preußen zahlte 1868 die Staatsdefizite und übernahm – allerdings nach waldeckischen Gesetzen – die innere Verwaltung mit Justiz und das Schulwesen. Nach diesem, alle zehn Jahre erneuerten Vertrag, blieb dem Fürsten nur noch die Verwaltung des Kirchenwesens, das Begnadigungsrecht und die Zustimmung bei Gesetzen. Im zum Deutschen Reich erweiterten Bund blieb Waldeck weiterhin Bundesstaat.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde Friedrich, der letzte regierende Fürst, 1918 für abgesetzt erklärt, das Fürstentum wurde zum Freistaat innerhalb der Weimarer Republik.3
Neben den gräflich-fürstlichen Auftraggebern bestellten natürlich auch die Kirchengemeinden ihre silbernen Kirchengeräte bei den Waldecker Goldschmieden. Finanziert wurden sie entweder von den Gemeinden und ihren Pfarrern selbst, vor allem in den Städten des Fürstentums oder in den Dörfern vom Landadel, dessen jeweiliges Oberhaupt als Patronatsherr für den Unterhalt der Kirchen und ihre Ausstattung zu sorgen hatte.4
Während in den protestantischen Territorien Abendmahlsgeräte selbst aus vorreformatorischer Zeit auch im lutherischen Waldeck zahlreich bis in die Gegenwart nach der Devise „in Dienst“ sind, dass, wenn ein Kelch, ein Brotteller oder eine Oblatendose voll funktionsfähig ist, es nicht den geringsten Grund gibt, diese Kirchengeräte nach neuester Mode zu ersetzen, galt für profanes Silber genau das Gegenteil. Im rohstoffarmen Fürstentum brachten die wohlhabenden Besitzer immer dann ihr sämtliches Tafelsilber den Waldecker Goldschmieden, damit sie es einschmolzen, wenn eine neue Mode gebieterisch Neues forderte. So haben sich bisher nur wenige profane Arbeiten im bevölkerungsarmen Waldeck5 nachweisen lassen.
Ein weiterer Grund dafür ist, dass die Goldschmiede Korbachs der zweiten Hälfte des 18. und durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch auf ihr Beschauzeichen, den halben Waldecker Stern unterhalb der Initialen, verzichteten und nur mit diesen und der Angabe des Feingehaltes stempelten. Deshalb konnte so manches von dort stammende profane Silbergerät in Auktionen oder bei E-Bay nicht dieser Stadt zugeordnet werden. Das BZ für Mengeringhausen hatte man als solches bisher nicht erkannt, selbst wenn es auf Arbeiten ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts regelmäßig auftauchte: der halbe Waldecker Stern oberhalb der Initialen des Meisters.6 Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hatten die Goldschmiede von Mengeringhausen nur die Kirchengeräte gestempelt. Abweichend von den beiden oben genannten Orten ist die Situation für Bad Arolsen. Hier hatten sich die dort tätigen Goldschmiede, in einigen Fällen zugleich Münzmeister des Landes, von Beginn an darauf verständigt, mit einem markanten BZ, dem A unter dem halben Waldecker Stern, ihre Arbeiten zu zeichnen. Die in der Residenz Waldecks meist für das Fürstenhaus und seinen Hof gearbeiteten profanen Gerätschaften konnten daher schon seit langem richtig zugeordnet werden und sind entsprechend ungleich zahlreicher nachweisbar.
Kramm weiß von einem Dutzend Waldecker Hofgoldschmiede zwischen 1650 bis 1850, ohne offizielle Ernennungen dazu liefern zu können. Er zählte wohl alle die Goldschmiede zusammen, von denen anspruchsvollere Arbeiten für das Herrscherhaus bekannt oder erhalten sind. Zweifellos war Georg Friedrich I. Esau (Nr. 3) Hofgoldschmied des Fürsten Georg Friedrich. Über ihn wird später bei der Vorstellung der Goldschmiede aus Mengeringhausen ausführlich berichtet. Dazu gehörten sicher auch aus Arolsen Christian Friedrich Berges (Nr. 3), Friedrich He(i)nrich Pfeif(f)er (Nr. 5), wie auch Friedrich Ludwig II. Drube (Nr. 14), der 1908 als Hofgoldschmied starb und der ausdrücklich als letzter Hofgoldschmied und –münzmeister genannte Friedrich Wilhelm Albert Welle (Nr. 11). Den unsteten Goldschmied Christoph Melitz (Nr. 2) zum Beispiel dazu zu rechnen, ist dagegen abwegig.7
Die Waldecker Goldschmiedezunft von 1798
Sie bleibt ein Kuriosum, denn in ganz Deutschland befanden sich die Zünfte längst im Niedergang, ihre Ordnungen galten immer weniger. Den Anlass gab die bittere Klage des bei Pfeif(f)er ausgebildeten Gesellen Valand, der sich nach seiner Wanderschaft in keinem der Orte mit einer Innung niederlassen durfte weil er keinen Innungsbrief seines Lehrmeisters als Voraussetzung dafür vorweisen konnte. Deshalb nahm er Pfeif(f)er bei der Fürstlich Waldeckischen Regierung in Klage. Der Hofgoldschmied bat daher in einem Brief vom 19. März 1794 seinen Landesherrn um die Einrichtung einer Goldschmiedeinnung, „da es nun weltkundig Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht liebste Beschäftigung ist, Höchstdero getreuen Landeskindern auch in der Fremde zu ihrem Fortkommen zu verhelfen“. Der Arolser Goldschmied Johan Christoph Berges (Nr. 6) hatte den Brief mitunterschrieben. Bereits 1791 hatte Pfeif(f)er das Missliche einer fehlenden Zunft der Waldecker Goldschmiede erkannt. Er besorgte sich daher am 25. Februar des Jahres eine Abschrift des Kasseler Zunftbriefes der Goldschmiede. Der Regierung genügte nicht der mit dem Brief mitgeschickte Extrakt des Kasseler Zunftbriefes, sie forderte eine komplette Abschrift. Sie wurde erst am 25. November 1797 zusammen mit der Bitte überreicht, dass nun sämtliche Waldecker Goldschmiede die erbetene Zunftordnung erhielten. Dabei hatten den Brief wieder nur Pfeif(f)er und Berges unterschrieben. Die Regierung entschied sich schließlich, am 25. Januar 1798 „sämtliche Gold- und Silberschmiede des hiesigen Landes vorzufordern, ihnen den Entwurf eines Zunftbriefes vorzulegen, und sie zu befragen, ob sie gegen den Inhalt deßelben einige begründete Bemerkung zu machen nöthig fänden“.8 Am 18. April erschienen auf Vorladung die Korbacher Goldschmiede Strube (Nr. 9), Huge (Nr. 10), Postelmann (Nr.11) und Saake (Nr. 12), der Mengeringhäuser Goldschmied Friedrich Andreas Elias Esau (Nr. 9)9 und die Arolser Pfeif(f)er (Nr. 4) und Berges (Nr. 6). Da sie keine wesentlichen Einwände vorbrachten, besiegelte Fürst Friedrich zu Waldeck den aus 39 Artikeln bestehenden Zunftbrief am 15. Mai 1798. Alle oben genannten Goldschmiede unterschrieben ihn auf der ersten Seite des Meisterbuches. Pfeif(f)er wurde 1. und F. A. E. Esau 2. Gildemeister.10
Der eigentliche Grund für die Zunftordnung war nach Kramm wohl der Wunsch nach Sicherung ihrer Existenz, die Regelung des Nachwuchses und der Wunsch nach Machtmitteln gegenüber der orts- und landfremden Konkurrenz.11
Sechs Waldecker Goldschmiede, die Korbacher J. J. Happel (Nr. 7), W. Ph. S. Schotte (Nr. 8), J. D. Schwalenstocker (Nr. 13) und die Arolser C. F. Berges (Nr. 3), J. Ph. W. Steinmetz (auch Münzmeister) (Nr. 4), J. G. Fr. Welle (Nr. 7) und Ph. C. Fr. Kaulbach (Nr. 8) waren jedoch der Gilde nicht beigetreten.
Und das, obwohl nach §1 des Zunftbriefes alle derzeitigen Waldecker Gold- und Silberarbeiter, „welche das Metier ordentlich erlernt haben“ eintreten müssen und nach §2 sich nur Goldschmiede hier niederlassen dürfen, wenn sie sich in die Waldeckische Zunft als Meister haben einschrieben lassen. Obwohl nach Anordnung der Regierung wenige Monate später der Zunftbrief im „Intelligenz-Blatt“ zweimal veröffentlicht worden war, gingen wenig später die Auseinandersetzungen zwischen Korbacher Meistern, die in die Zunft eingetreten und denen, die draußen geblieben waren, in voller Härte los. Der Zorn der Innungsmeister Strube (Nr. 9) und Saake (Nr. 12) richtete sich besonders gegen J. D. Schwalenstocker (Nr. 13) als „unzünftigen Pfuscher“. Da die Zunftzugehörigkeit keinerlei Nutzen böte, wollen die beiden Arolser Meister gegebenenfalls wieder austreten und das Geld zurück haben, das sie bei Eintritt in die Zunft hatten bezahlen müssen. Obwohl die Waldeckische Regierung die nachgeordneten Behörden anwies, die Pfuscher nun streng zu bestrafen, geschah nichts.
Strube und Saake blieben in der Innung und eine Aktennotiz von 1799 gibt Auskunft, dass man sich inzwischen arrangiert hatte. Goldschmied Strube nämlich habe der Frau des Schreibers dieser Notiz erzählt, dass die Korbacher Goldschmiede „die Arbeit von dem Schwablen Stöcker (Schwalenstocker (Nr. 13) kauften und damit handelten!12 Die Zusammenarbeit mit den außerhalb der Gilde gebliebenen Waldecker Meistern lief wohl dann auch deswegen konfliktfrei, weil sich am Stempelwesen trotz der 39 Paragraphen der umfassenden Gildeordnung nichts geändert hatte. Nach wie vor erfolgte nämlich keine von den Behörden ausgehende, an die Gildemeister delegierte verbindliche Kontrolle der Lötigkeit. Jeder Meister markte weiter mit einem eigenen Feingehaltszeichen die von ihm hergestellten Silberwaren, auch wenn auf Arbeiten des Arolsener Meisters Johann Georg Friedrich Welle (Nr. 7) neben BZ und MZ auch Zeichenmeisterbuchstaben auftauchen, die eine Kontrolle der Lötigkeit der hergestellten Silberwaren suggerieren.13
Das Waldecker Schützenwesen
Das zweite Standbein, das den Waldecker Goldschmieden wohl über Jahrhunderte ein gewisses Auskommen sicherte ist das Schützenwesen, genauer die silbernen Schilde, die die Schützenkönige für die Schützenketten (Kleinode) ihrer Gesellschaften in Auftrag gegeben hatten.
Bei der Erfassung der Bau- und Kunstdenkmäler im ehemaligen Fürstentum Waldeck, seit 1929 Teil des preußischen Regierungsbezirks Kassel, machten in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die sie aufnehmenden Kunsthistoriker überrascht eine Entdeckung: eine Anzahl von mehr als dreißig bis dahin nicht oder kaum bekannten Schützenketten, Ausdruck eines lebendigen Schützenwesens. Nur ein relativ kleiner Teil von ihnen fand in diesen Werken Aufnahme. Mit dieser Zahl gehörte das ehemalige Fürstentum, wie der Niederrhein, zu den bedeutendsten Gegenden des Schützenwesens in Deutschland. Kramm lieferte auch hier (1937) eine erste und bis heute einzige Würdigung dieses Schatzes der Waldecker Goldschmiedekunst.14 Erst Scheffler nennt 1976 bei der Vorstellung Waldecker Goldschmiede Schilde, die für die Schützenketten (Kleinode) aus zwanzig Orten gearbeitet worden waren.15
Das Schützenwesen ist mittelalterlichen Ursprungs. Gegründet zur Abwehr feindlicher Angriffe auf ihre Orte, waren die Gilden zugleich auch kirchliche Bruderschaften.16 Sie wählten sich einen Schutzpatron, dessen Figur in die Kette des Schützenkönigs angehängt wurde. Nach der Reformation wurde die duale Einbindung der Gilden in die Gesellschaft aufgegeben. In den katholisch gebliebenen Landesteilen lebten sie als rein kirchliche Bruderschaften weiter, in den protestantischen wurde nun der militärische Aspekt, die Wehrhaftigkeit der Schützengesellschaft herausgestellt. Regelmäßige Schießübungen, nun nicht mehr mit der Armbrust, sondern mit der Flinte auf eine Scheibe sollte sie erhalten. Der Sieger des Wettbewerbs, der neue Schützenkönig, trug die Kette mehrere Jahre bis zum nächsten Freischießen.
Wohl die meisten der Waldecker Schützengesellschaften sind – obwohl sich Schriftliches meist nicht erhalten hat – erkennbar im Mittelalter gegründet worden. Denn die sicher von Waldecker Goldschmieden bis in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts gestifteten Figuren der Schutzheiligen – auch Marienfigürchen17 – wurden sorgfältig bewahrt und blieben erhalten. Ein schönes Beispiel ist die Figur des Hl. Sebastian, des am häufigsten gewählten Schutzpatrons als Anhänger und erstes Hauptschild der Schützenkette von Mengeringhausen aus der Zeit um 1500 (siehe nebenstehende Abb.).
Nur war die Bezeichnung Schützenkette im wörtlichen Sinn nicht mehr richtig,18 denn im Laufe der Zeit war der Anhänger zum Hauptschild geworden. Es hatte sich überall der Brauch durchgesetzt, dass jeder neue Schützenkönig am Ende seiner Regierung ein silbernes Schild an die Kette stiften musste. Die einzelnen Figuren der Schutzheiligen und das Stadtwappen, entstanden zwischen 1370 und 1470, montierte man zum Beispiel 1742 zusammengefasst auf die Wand des nun einzigen Hauptschilds der Korbacher Schützenkette. Leider zeigen alle diese mittelalterlichen sowie ihre nachfolgend gestifteten Anhänger und Schilde bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts keine Marken und von einer Reihe von ihnen kennen wir bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nur aus Archivalien die Namen der Goldschmiede, die sie geschaffen haben.
Zu keinem Zeitpunkt hatten die Waldecker Grafen und späteren Fürsten die Mittel eine selbst kleine Armee zu unterhalten. Aus den Abgaben ihrer Untertanen und den Einkünften aus ihren Domänen ließ sich auch die eigene Hofhaltung nicht ausreichend finanzieren. Einige von ihnen begaben sich deshalb als Militärs oder Diplomaten in die Dienste viel größerer Mächte. Kein Wunder also, dass ihr Interesse groß blieb, das mittelalterliche Schützenwesen durch die Neuzeit, ja bis zum Ende des 19. Jahrhunderts aktiv zu fördern. Indem sie die Mitglieder der Schützengesellschaften ertüchtigten, sollten sie jederzeit in der Lage sein, in unsicheren Zeiten ihre Orte vor marodierenden Banden und disziplinloser Soldateska zu schützen.19
Viele dieser Schützengesellschaften sind Neu- oder Zweitgründungen, in der Regel veranlasst durch Mitglieder des Waldecker Grafen- und Fürstenhauses. Das lässt sich zum Beispiel daran festmachen, dass auf das Hauptschild der ehemaligen Schützengesellschaft von Braunsen (Nr. 5d), 1785 vom Prinzen Georg gestiftet, die Nummer 18 eingraviert ist. Jetzt das älteste Schild der Kette, hatte es zum Zeitpunkt seiner Anfertigung durch den Arolser Goldschmied Pfeif(f)er noch siebzehn ältere Vorgängerschilde. Oder daran, dass die Adorfer „Historische Schützengesellschaft von 1514“ ihr heutiges Hauptschild 1671 (Nr. 3d) bei ihrer Neugründung vom zwölfjährigen Grafen Carl Gustav von Waldeck und Pyrmont erhielt, das urkundlich von Georg Friederich (Fritz) I. Esau aus Mengeringhausen gearbeitet worden war.
Die vom Waldecker Herrscherhaus gestifteten Hauptschilde sind zweifellos der Qualität nach die Höhepunkte der Goldschmiedekunst des kleinen Landes. Auf sie wird dann bei der Vorstellung der Werke der Gold- und Silberarbeiter von Korbach, Mengeringhausen und Arolsen ausführlich eingegangen werden.
Wie groß das Engagement des Waldecker Herrscherhauses war, die Schützengilden zu fördern, zeigen beispielsweise zwei kleine gleichgroße Schildchen.
Auf ihnen befinden sich die gekonnt gravierten Waldecker Wappen für die Adorfer Schützengesellschaft, entstanden um 1690.
Stifter sind zu diesem Zeitpunkt der ca. neunjährige Ernst August (1683-1703) und der ca. siebenjährige Heinrich Georg (1683-1736), beide Grafen der Wildunger Linie (siehe nebenstehende Abb.)20
Dem gegenüber fallen die von „normalen“ Schützenkönigen gestifteten silbernen Schilde des 17. bis 19. Jahrhunderts natürlich deutlich bescheidener aus. Sie illustrieren über abgebildete Gerätschaften das Handwerk oder über Tätigkeiten den Beruf des jeweiligen Schützenkönigs. Ihr besonderer Wert liegt in der Bewahrung des kulturellen Erbes ihrer Heimat. Mit gelehrten Sinnsprüchen, gereimten Knittelversen oder Witzen wird – häufig drastisch – die jeweilige Lebenswirklichkeit geschildert, in der sie endstanden: die Wetterkatastrophen, die Epidemien, die Mühen des Alltags, die Hungersnöte und die Besetzung in Kriegen. Viele der heute noch vorhandenen Schützenketten hatten einst deutlich mehr Schilde. Viele mussten in Notzeiten verkauft werden oder dienten, eingeschmolzen, als Bezahlung, um das den Bauern weggetriebene Vieh zurück zu kaufen. Da aber bei den bestehenden Schützengesellschaften jeder neue Schützenkönig bis heute ein Schild stiften muss, haben sich trotzdem so große Mengen von ihnen pro Schützenkette (Kleinod) angesammelt, das sie seit langem kein Schützenkönig mehr tragen kann.21 Die älteste von ihnen, aus Korbach, besitzt zum Beispiel sicher ca. 70 Kleinodteile, 49 die Adorfer bis 2014,22 die aus Mengeringhausen ca. 40 bis 2007.23
Bei den feierlichen Umzügen anlässlich eines Freischießens trugen nun die jeweiligen Schützenkönige deshalb nur noch das Hauptschild, an dem lediglich das Schild seines Vorgängers hängt, wie zum Beispiel in Rhoden 2015 (siehe untenstehende 1. Abb. von li.),24 während es dem kräftigen Schützenkönig von Adorf des Jahres 2017 keine Mühe zu bereiten scheint, neben dem Hauptschild noch neun weitere Schilde vor der Brust zu tragen (siehe 3. Abb. von li.)25
Die übrigen Schilde der Kette werden auf den gleichen Umzügen, zum Beispiel in Rhoden, von Pagen auf mit Samt bezogenen Tafeln mitgetragen (siehe unten 2. Abb. von li.)26 oder begleiten den Schützenkönig mit den lederbezogenen Tafeln, an denen die übrigen Schilde des Mengeringhäuser Kleinods befestigt sind (4. Abb. von li.).27
Später als in den großen Ländern Deutschlands kam die industrielle Revolution in Form der Silberwarenindustrie nach Waldeck. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind die erhaltenen Kirchen- und Tafelgeräte sowie die Schützenschilde meist noch von solider handwerklicher Qualität. Doch schon seit den 30ger Jahren bezogen zumindest die Arolsener Goldschmiede geprägte Fertigteile nach Katalog, vornehmlich von der Fa. P. Bruckmann & Comp. aus Heilbronn. Sie sorgten also nur noch für den Entwurf der Tafelgeräte, in die sie die Fertigteile integrierten, zum Beispiel Teedose (10a) oder Zuckerdose (10d) des Meisters Friedrich Ludwig I. Andreas Drube. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden dann immer mehr komplette Industrieprodukte geordert, zum Beispiel Kelch (Nr. 10p) vom gleichen Meister. Das Meisterzeichen war zur Verkäufermarke geworden.
Trotz aller Aufträge von Kirche, Herrscherhaus, landsässigem Adel, wohlhabenden Bürgern und Schützengesellschaften konnten selbst die besten Waldecker Goldschmiede nie allein von ihrer Profession leben. Sie waren auf Nebenerwerb, zunächst meist Landwirtschaft, angewiesen.28 Da Goldschmiede deutlich gebildeter waren als Handwerker anderer Berufe der Zeit, nicht nur lesen und schreiben sondern häufig auch Latein konnten, mit kostbaren Materialien umgingen und damit großes Vertrauen genossen, waren sie tätig als Provisor eines Hospitals wie Georg Friederich I. Esau, oft Bürgermeister ihrer Orte, so Samuel Waldecker (Nr. 1) in Korbach, Johan He(i)nrich Esau (Nr. 7), Christian Philipp Esau (Nr. 8) und Fri(e)derich Luwig Esau (Nr. 10) in Mengeringhausen, noch häufiger Ratsmitglieder, zum Beispiel in Korbach Urban Friedrich und Johann(es) Reinhardt Esau (Nr. 2 und 4)), Gottfried Nelle (Nr. 5), Johann Caspar Roth(e) (Nr. 6) oder als Kaufmann, wie die Korbacher Carl Heinrich Wilhelm Huge (Nr. 10), Wilhelm I. Postelmann (Nr. 11), Johann Daniel Schwalenstocker (Nr. 13) oder Carl Christian Ludwig Vesper (Nr. 18).
Die Tabelle „Weitere Waldecker Goldschmiede“ im Anschluss führt – abgesehen von Nr. 5 - Arbeiten auf, die mit großer Sicherheit im ehemaligen Fürstentum entstanden sind, aber weder den Meister noch den Waldecker Ort kennen, in dem er gelebt hat (Nr. 1 u. 3). Dann ist zwar der Entstehungsort bekannt, der Meister aber lässt sich mit diesem MZ in den entsprechenden Kirchenbüchern nicht finden (Nr. 2). Schließlich bereitet der Name des herstellenden Meister kein Problem, aber sein Beschauzeichen, der achtstrahlige Waldecker Stern, lenkt bisher vergeblich aufgrund seines Stadtwappens den Verdacht auf Wildungen als Wohnort des jüdischen Meisters Nathan Michael Schwerin (Nr.4).29
Literatur
Vorbemerkung: Die vollständigen Literaturangaben der Anmerkungen sind in den Literaturverzeichnissen der Orte Bad Arolsen, Mengeringhausen und Korbach mehrfach aufgeführt. Sie hier nochmals zu zitieren, erschien daher nicht sinnvoll.
1. Ab 1680 waren die Grafschaft Cuylenberg und die Herrschaften Tonna, Paland, Wittem und Werth bereits nicht mehr Besitz (https://de.wikipedia.org/wiki/Waldeck).
2. Er wurde dafür belohnt, weil er gegen die aggressive Politik Ludwig XIV. ab 1679 zunächst ein Defensivbündnis schmiedete, das 1682 im Laxenburger Verteidigungsbündnis gipfelte (S. 530, in: Karl E. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, Kassel 1980).
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Waldeck. Karte von Waldeck-Pyrmont: 434px-Map_Waldeck 1712-1921.
4. Bis heute sind dies die Freiherren v. Dalwigk zu Lichtenfels für Dalwigksthal und die Freiherren Wolff von Gudenberg für Höringhausen (, lange Zeit eine Exklave des Großherzogstums Hessen-Darmstadt,), S. 122-125, Nr. 8 Ia, b und S. 236-241, Nr. 28 Ia-e, in: Reiner Neuhaus, Glänzende Zeugnisse des Glaubens, Das evangelische Patronatssilber Hessens, Regensburg 2014.
5. Einwohnerzahl Waldeck 1871: 56 224 (https://de.wikipedia.org/wiki/Waldeck), Pyrmont, um 1800: ca. 4500 (https://de.wikipedia.org/wiki/Grafschaft_Pyrmont).
6. So deutete man es bei Sotheby’s 1994 in Genf auf der hervorragend gearbeiteten Saucière des Johan He(i)nrich Esau (Nr. 7) als „Bekrönung“ (Sotheby’s Geneva, European Silver, 16.5.1994, Lot 156).
7. Kramm 1937, S. 67/68.
8. Wie Anm. 7, S. 70.
9. Kramm ließ den Mengeringhäuser Bürgermeister und Goldschmied Esau (Nr. 10) antreten. Dieser Fri(e)drich Ludwig Esau aber war zu diesem Zeitpunkt erst zwölf Jahre alt (Kramm 1937, S. 70).
10. Der gesamte Abschnitt über die Gründung der Zunft wurde von Kramm 1937, S. 69/70 übernommen, da sich Briefwechsel, Zunftordnung und Meisterbuch nicht erhalten haben, jedenfalls nicht mehr auffindbar sind.
11. Wie Anm 7, S. 69.
12. Wie Anm. 7, S. 71.
13. Ein A auf den Arbeiten 7a, f, g, ein B auf Arbeit 7h und ein D auf Arbeit 7i.
14. Kramm stellte anhand der örtlichen Verteilung der Ketten fest, dass sich die Grenze zwischen Nieder- und Mitteldeutschland hier besonders gut markieren lässt. Denn 23 von ihnen befanden sich in den beiden nördlichen damaligen Kreisen Twiste und Eisenberg, gehörten im Brauchtum kulturell zu Niederdeutschland, während im mehr südlichen Kreis der Eder nur in den vier kleinen Städten und in Korbach jeweils eine Kette von einer Schützengesellschaft kündete, ganz so wie im übrigen Mitteldeutschland, wo nur in ihnen solche zu erwarten sind (Kramm, Wald. Schützenketten, S. 12/13).
15. Scheffler, Hessen, Bad Arolsen, Mengeringhausen und Korbach.
16. Zur Verkürzung zeitlicher Sündenstrafen im Jenseits durch gute Werke im Diesseits, stifteten sie für ihre Kirchen Altäre, manchmal ganze Nebenkapellen, deren Ausstattung und bezahlten Geistliche für die dort gelesenen Messen.
17. So zeigt das älteste erhaltene Waldecker Hauptschild der Königskette von Flechtdorf aus dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts ein solches Marienfigürchen (Kramm, Wald. Schützenketten, S. 12, Abb. 12,1, S. 13).
18. Dies im Gegensatz zu den Bürgermeisterketten, wie sie heute mit eingehängtem Wappen der Stadt zu allen besonderen Anlässen von den Bürger- und Oberbürgermeistern stolz in vielen europäischen Städten getragen werden.
19. So wurde die Schützengilde St. Sebastianus von Mengeringhausen 1500 gegründet, um ihre Stadt in Zukunft vor Überfällen, wie denen des Raubritters Rabe von Canstein, wirkungsvoll schützen zu können (in: http://www.stadt-mengeringhausen.de/index.php).
20. https://de.wikipedia.org/wiki/Stammliste_des_Hauses_Waldeck.
21. Ketten mit über 100 Schilden sollen keine Seltenheit sein (Kramm, Wald. Schützenketten, S. 14).
22. 500 Jahre Adorfer Schützenwesen, S. 119.
23. S. 27, in: Freischießen in Mengeringhausen 16.-21.7.2014, hg. von Schützengesellschaft Mengeringhausen, Korbach und Kassel 2014.
24, Das Schützenwesen und der Chronik 2. Teil, hg. von Schützengesellschaft Rhoden, Bad Langensalza, S. ???.
25. Wie Anm. 22, S. 98. In der Adorfer Schützengesellschaft ist es Brauch, dass der jeweilige Schützenkönig neben dem Hauptschild alle Schilde seiner lebenden Vorgänger mitträgt, auch die, von denen nur noch ein Partner des Vorgängerpaares vorhanden ist, zum Zeitpunkt des Fotos diesmal also noch neun.
26. Wie Anm. 24, Privataufnahme des derzeitigen Schützenkönigs G. G. von Rhoden.
27. Wie Anm. 23, S. 27.
28. Das geht beispielsweise aus Bittgesuchen der Mengeringhäuser Goldschmiede Bartholomäus II. Esau vom 8. März 1660 an Graf Christian Ludwig und Georg Friederich I. Esau 1689 an Fürst Georg Friedrich hervor, in dem letzterer um sechs Morgen Ödland auf dem Hagen bittet, um es urbar zu machen (Emde, Wilhelm, 1961, S. 2 des Beitrags).
29. Im Zusammenhang mit Meister Schwerin kommt die stramm nationalsozialistische Haltung des ansonsten guten Wissenschaftlers Dr. Walter Kramm zum Vorschein, indem er in einem langen Kapitel seines Beitrags die vom damaligen Waldecker Fürsten und dem Hofgoldschmied Friedrich Wilhelm Albert Welle (Nr. 11) unterstützte Ausbildung des jüdischen Lehrlings zum Goldschmied auf die damals übliche widerwärtige Weise geißelte. Kramms geäußerte Vermutung, dass Schwerin nicht Meister wurde, da es keinen Eintrag in das Meisterbuch gab, täuschte, wie diese Arbeiten belegen (Kramm 1937, S. 69-74).