Da „eskinivvach“ , altgermanisch „Siedlung bei den Eschen am Wasser“, an einer Furt über die Werra lag, wurde der erstmals 974 erwähnte Ort nach der Eroberung durch die Franken noch in merowingischer Zeit zu einem Königshof als Grenzbefestigung gegen Thüringen ausgebaut. Schriftlich wird Eschwege erstmals fassbar in einer Urkunde Ottos II., in der er den Königshof und die Siedlung seiner Frau Theophanu2 als Erbe hinterlässt.
Um 1000 gründete ihre Tochter Sophie das dem hl. Cyriakus geweihte Frauenstift, das lange Zeit mit großem Landbesitz einflussreich, erst im Zuge der Einführung der Reformation in Hessen 1527 aufgelöst wurde.
Die bis in die Neuzeit blühende Tuch- und Ledererzeugung hatte ihren Startpunkt in den früh – um 1188 - erteilten Markt- und vor 1249 verliehenen Stadtrechten.
Eschwege erlebte zahlreiche Besitzerwechsel. Gehörte ab 1264 nach Ende des Thüringisch-Hessischen Erbfolgekrieges zu Hessen. Heinrich I. von Hessen bringt das die Reichsfürstenwürde, in dem er geschickt die Stadt König Adolf von Nassau als Reichslehen antrug und sie und die Reichsburg Boyneburg sofort als Reichslehen zurück erhielt. Zwischen 1385 bis 1433 fiel Eschwege an Thüringen. Wieder zu Hessen gehörig bauten die Landgrafen die Burg zu einem Schloss um, so dass der abgedankte Landgraf Moritz von 1627 bis 1632 dort seinen Alterssitz nehmen konnte. Seit 1585 ist ein Amt Eschwege bezeugt. Von 1632 bis 1655 Residenz des Landgrafen Friedrich von Hessen-Eschwege, einer Nebenlinie in der sogen. „Rotenburger Quart“,3 wurde die Stadt an Ostern 1637 durch kaiserliche Kroaten unter General Johann v. Götzen geplündert und durch Brände verwüstet. Nach dem Tod Friedrichs fiel seine (Teil-)Landgrafschaft an seinen Bruder Ernst von Hessen-Rheinfels. Dessen Enkel, Christian von Hessen-Wanfried, verlegte nach 1731 seine Residenz nach Eschwege. Nach dem Aussterben der Linie Hessen-Wanfried im Mannesstamm 1755 an die Linie Hessen-Rotenburg gefallen, gelangte die ganze Quart nach dem Aussterben auch dieser Linie 1834 an die Landgrafschaft Hessen-Kassel zurück.
Bedeutung erhielt sich Eschwege bis in das 19. Jahrhundert, weil der Ort an der 1700 eingerichteten Postroute Leipzig-Kassel lag, einem Teilstück der Fernpostlinie Moskau-Amsterdam und durch den 1875 erreichten Bahnanschluss.
Für die Goldschmiede Eschweges und ihre Werke bringt - wie in fast allen kleinen Städten Osthessens - der Dreißigjährige Krieg mit Plünderung und weitgehender Zerstörung des Ortes - wie oben geschildert – „die“ existenzielle Zäsur. Das wird beispielhaft ablesbar am Schicksal der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts tätigen sechs Goldschmiede. Bleiben auch Jacob Baum (Nr. 1) und Melchior I. Scheibehen (Nr. 2) bis zu ihrem Tod in Eschwege, ziehen Jacob Müller (Nr. 3) und Val(l)entin Humpff (Nr. 6) nach Kassel, der Sohn Hans des Jacob Baum (Nr. 4) nach Göttingen. Goldschmied Curt Hoßfeldt (Nr. 5) verlässt Eschwege, lebt eine Zeitlang in Kassel und Hannoversch Münden und kehrt erst nach 1650 wieder in seine Heimatstadt zurück. In der schwer getroffenen Stadt gab es nach 1637 selbst für die zwei verbliebenen Goldschmiede wohl nicht ausreichend Aufträge.
Obwohl ab 1627 und mit Unterbrechungen bis 1655 Residenz des abgedankten Landgrafen Moritz der Gelehrte (1592-1627), dann der Landgrafen aus der Nebenlinie der sogen. „Rotenburger Quart“ und nochmals von 1731 bis 1755, hat sich kein einziger der für den Hof von Eschweger Goldschmieden gearbeiteter profaner Silbergegenstand nachweisen lassen.5
Je ein prächtiger, 1433von der Schützenbruderschaft gestifteter vorreformatorischer Kelch für die Altstädter Kirche und ein aus gleicher Werkstatt stammender etwa zu gleicher Zeit gearbeiteter Kelch der Neustädter Gemeinde hatten den Krieg überstanden. Nicht nur, dass für diese Zeit kein einziger Name eines Eschweger Goldschmieds bekannt ist, auch die überaus aufwendige Gestaltung der Kelche, ihr ehemals reicher Schmuck und ihr hohes Gewicht sprechen dafür, dass die Kelche in Marburg oder Kassel entstanden sind, in dem Jahr, in dem Eschwege (siehe oben) wieder zu Hessen-Kassel kam.
Wie immer in den Orten gleicher Größe in Hessen bildeten sich Goldschmiededynastien aus. Melchior I. Scheibehen (Nr. 2), die Brüder Christoph Wilhelm und Johann Rudolf Herfurth (Nr. 12, 14), Balthasar Göbel (Nr. 20), Jacob Heinrich Lieberknecht (Nr. 27) sowie zuletzt die Brüder Johann Friedrich und Karl Christian Keulmann (Nr. 35, 36) sind die Gründer dieser Dynastien über drei und mehr Generationen.
Da sich bis heute keine einzige Arbeit profanen Korpussilbers aus einer Werkstatt Eschweges nachweisen ließ, sind es zunächst wieder die solide und kunsthandwerklich gut ausgeführten vasa sacra et non sacra der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18 Jahrhunderts mit den auf ihnen aufgebrachten Beschau-, Meister- und Feingehaltszeichen, die das Können der Goldschmiede Eschweges belegen.
Die Kelche des Johann Melchior I. Scheibehen, seines Sohnes und Enkels gleichen Namens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zeigen Knäufe, deren Rotuli auf ihren Stirnseiten mit in Pasten eingelegten Buchstaben verziert sind. Und sind damit – wie oft in den kleinen Landstädten – Ausdruck von Stilverschleppung, denn diese spätmittelalterliche Form der Kelchgestaltung war in Zentren der Silberherstellung, so auch in Kassel, spätestens Mitte des Jahrhunderts aufgegeben worden. Ihre dazu gehörenden Patenen / Brotteller sind dagegen ganz zeittypisch ausgeführt.
Die Kelche der Brüder Johann Werner und Justus Heinrich Scheibehen, die bei dem Kasseler Meister Johan(n) Henrich Schwarz ausgebildet worden waren, sowie des Meisters Balthasar Göbel sind an Arbeiten der Residenzstadt ihres Landes orientiert. Die von Johann Friedrich Keulmann gearbeiteten Kelche wurden erhaltenen historischen Vorbildern aus den jeweiligen Gemeinden des 17. und 18. Jahrhunderts nachgebildet / zugearbeitet, als die Zahl ihrer Mitglieder stark angewachsen war.
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des 19. Jahrhunderts liefern Besteckteile aus den Werkstätten der Eschweger Goldschmiede die Beschau-, Meister- und Feingehaltszeichen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch geschmiedet, stammen sie dann aus der Silberwarenindustrie, die BZ garantieren weiterhin den Feingehalt, die MZ sind nun reine Verkäufermarken.6
Die letzten sieben, von Schmidt aufgeführten, in Eschwege tätigen Goldschmiede (Nr. 37-43) werden der Vollständigkeit halber aufgeführt. Eigenständige Silberarbeiten sind von ihnen nicht zu erwarten.
Erst mit der Gründung der Kasseler Goldschmiedegilde im Jahre 1652 gilt auch die Stempelpflicht für alle in der Landgrafschaft tätigen Gold- und Silberarbeiter. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts scheint ein E im Hochoval als BZ für Eschwege gedient zu haben. Damit es möglicherweise nicht zu Verwechselungen mit dem BZ E Erfurts, vielleicht auch Eisenachs kommt, entschloss man sich, nachgewiesen bisher frühestens 1694, stattdessen den Eschenblattzweig im Wappen der Stadt zum unverwechselbaren Beschauzeichen zu machen. Während Justus Heinrich Scheibehen (Nr. 15) noch durchgehend 13lötig arbeitete, stempelt sein Bruder Johann Werner (Nr. 13) sowohl 12- oder 13lötig und nach ihm bis 1888 alle Eschweger Goldschmiede ausnahmslos 12lötig. Noch am 1. Dezember 1792 hatte die Landesregierung strenge Strafen angedroht, sollten Goldschmiede in Kassel oder in den übrigen Städten bei der Herstellung oder dem Verkauf ihrer Silberwaren von der 13-Lötigkeit abweichen. Dieses Regierungsanschreiben wurde „sub eod. auch an die von Adel“ erlassen.7 Und selbst 1831 wird dem Kasseler Gildemeister Johann Gottlieb Scharrer sen. (Neuhaus, Meisterliste Nr. 120, in: Kassel 1998) durch Regierungsbeschluss vom 7. Mai aufgegeben: „Es soll streng bei 13-Lötigkeit bleiben“.8 Zur Erklärung bleibt nur, dass die Landgrafen der „Rotenburger Quart“ für ihr Territorium 12-Lötigkeit erlaubten, um die Konkurrenzfähigkeit, jedenfalls der Eschweger Goldschmiede, gegenüber Arbeiten aus thüringischen Orten mit dieser geringeren Lötigkeit zu erhöhen.
Anmerkungen
1. Kupferstich von Eschwege im Jahr 1655 (Matthäus Merian), Gemeinfrei, (https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4231111), Urheber Aufnahme Bild Merian von Eschwege.
2. * ca. 960, nach manchen Angaben 955, im Oströmischen Reich; † 15. Juni 991 in Nimwegen, als Frau Kaiser Ottos II. Mitkaiserin des römisch-deutschen Reiches für elf Jahre und Kaiserin für sieben Jahre (https://de.wikipedia.org/wiki/Theophanu_(HRR)).
3. Juliane aus dem Hause Nassau-Dillenburg, seit 1603 die zweite Frau von Landgraf Moritz erreichte bei ihm die Einwilligung, dass in Anlehnung an die im Hause Hessen geltende Erbteilung ihren Nachkommen ein Viertel Hessens, daher der Name Quart, übertragen werde. Es wurde jedoch festgelegt, daß die Quart weiterhin unter Kasseler Oberhoheit bleiben werde. Nach dem Rücktritt des Landgrafen Moritz 1627 und der Amtsübernahme durch seinen Sohn Wilhelm V. trat der Teilungsvertrag in Kraft. Juliane bezog 1629 mit ihren Kindern ihre neue Residenz Rotenburg, nachdem die Untertanen den Eid auf die neue Herrschaft abgelegt hatten. Die sogenannte Rotenburger Quart umfasste neben der Residenz noch Stadt, Amt und Schloß Eschwege, … (http://www.geschichtsverein-rotenburg.de/Familiengeschichte/Hessen-Rotenburg.htm).
4. https://de.wikipedia.org/wiki/Eschwege.
5. Der von Maria Francisca, Landgräfin zu Hessen, 1738 gestiftete Taufbecher, aufbewahrt im Museum Eschwege, hat ein Goldschmied CM mit einem bis heute nicht identifizierten BZ geschaffen (siehe dazu ausführlich Die Goldschmiede von Allendorf und Sooden (Werra), Einleitung, Anm. 9).
6. Schmidt 2003 und 2004 hatte viele dieser Besteckteile noch als Bestandteil einer privaten Sammlung kennengelernt und für seine Beiträge beschrieben und fotografieren lassen. Nunmehr gestiftet, sind sie Bestandteil des Museums Eschwege (alle bisher ohne Inv.-Nr.).
7. HstAM 17f V Vol I Nr. 1a, S. 451-469 bzw. HLO (Hessische Landordnung) VII, p. 541/42.
8. HstAM17f V Vol III Nr. 1c, S. 51-67.
Ich bedanke mich bei Herrn Wilfrid Klingelhöfer (Hannover) und bei Herrn Theo Hecker (http://silberpunze.freehost.ag) für die Nutzung von Eschweger Besteckteilen mit ihren Marken aus ihrem Fundus und/oder ihrem Archiv.