Die Goldschmiede von Arolsen

Bis auf das Jahr 1131 reichen die Anfänge von Arolsen zurück, als eine Gepa von Itter mit ihren drei Töchtern das Augustiner-Chorherrenstift Aroldessen gründete. Graf Volkwin II. von Schwalenberg, Begründer des Geschlechts der Waldecker Grafen, übernahm 1155 die Vogtei des Klosters. Graf Otto IV. von Waldeck ließ das durch Misswirtschaft und Verweltlichung in Schieflage geratene Stift schließen und übergab es 1492/93 an die Antoniter von Grünberg (Hessen). Bald danach, 1181, übertraf das Kloster an Besitz und damit an Einfluss fast alle Waldecker Klöster.

Im Zuge der Reformation wurde Aroldessen 1526 als erstes Waldecker Kloster säkularisiert und nach dem Willen des Grafen Philipp III. vor allem durch den Anbau eines Flügels im Renaissancestil zu einer Residenz umgestaltet. Um seine Bewohner während des Dreißigjährigen Krieges besser schützen zu können, begann man 1622 das Schloss zur Festung auszubauen. Das 1668 von Georg Friedrich, Graf und später Fürst von Waldeck vollendete Lustschloss Charlottenthal (später umbenannt in Schloss Luisenthal) erweiterte das Ensemble der Residenz. Nach Renovierung des alten Schlosses verlegte 1677 die Eisenberger Linie der Grafenfamilie ihren Sitz von Rhoden ins sich schnell entwickelnde Arolsen.

Nach dem Abriss des alten Schlosses und der Reste der Klosteranlagen wurde 1710 mit dem Neubau der Residenz als moderne Barockanlage im Stil Ludwig XIV. unter der Regierung von Graf Friedrich Anton Ulrich begonnen. Der 1711 in den Reichsfürstenstand erhobene Graf zog mit seiner Familie im selben Jahr in das umgebaute und in Luisenthal umbenannte Schloss nach Arolsen. 1717, im Jahr der Verkündigung des erblichen Fürstentitels, befahl Friedrich Anton Ulrich die Errichtung der ersten Häuser der Neustadt Arolsen.

Mit der Verkündigung der Privilegien und „Freyheiten“ wurde 1719 das offizielle Gründungsjahr der Stadt Arolsen. Zwar zog das Fürstenpaar bereits ein Jahr später in die Arolser Residenz ein, doch es dauerte noch Jahrzehnte bis zum Abschluss der Bauarbeiten. Nach dem Tod von Fürst Friedrich Anton Ulrich im Jahre 1728 verlegte die „Erste Waldeckische Landkanzlei“ ihren Sitz von Mengeringhausen in die Residenzstadt. Damit definitiv zur Hauptstadt des Fürstentums geworden, entwickelte sich Arolsen mit der Verleihung weiterer Privilegien und den  Zuzug der für die Behörden und den Hof benötigten Beamten und Hofbediensteten schnell und blühte auf. Ihre Bedeutung wuchs weiter als Arolsen ab 1871 auch Garnisonstadt wurde. Mit der Anbindung an die Bahn, die von Warburg kommend 1893 bis Korbach weiter geführt werden sollte, begann am 1. Mai 1890 für die Stadt – wie für so viele kleine Orte in dieser Zeit – die neue Zeit.1

 

Spätestens in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts, seitdem die Eisenberger Linie der Grafen von Waldeck ihre Residenz nach Arolsen verlegt hatte, sind für den Hof arbeitende Goldschmiede wahrscheinlich. Zudem existierte sicher neben dem Schloss auch bereits eine Ortschaft, in der die Familien der Hofbediensteten wohnten und auch die benötigten Handwerker und Bauern. Und der oben gezeigte Merian-Stich zeigt 1655 bereits eine mit Mauern umgebene Ortschaft.2 Auch die Gründung der „Neustadt“ macht sprachlich nur Sinn, wenn es vorher schon eine Altstadt gegeben hatte. Leider beginnen die Kirchenbücher von Arolsen erst mit dem Jahr 1747. Deshalb ist es bisher nicht gelungen, den Schöpfer der besten Arolser Arbeit, die für die Altstadtgemeinde Hofgeismars gearbeitete Abendmahlskanne zu identifizieren.3

Das bisher einzige sicher von dem Goldschmied Christoph Melitz erhaltene Werk, der Kelch der Gemeinde von Adorf aus dem Jahr 1732 (Nr. 2a), ist in seiner Gestaltung stark an Arbeiten des Kasseler Goldschmieds Johann Conrad Wiskemann aus gleicher Zeit orientiert.4 Was nicht verwunderlich ist, denn Melitz hat unter anderem auch in Kassel gelebt. Von dem Hofgoldschmied Christian Friedrich Berges kann zur Zeit nur das aufwendige Hauptschild der Schützenkette von Wethen gezeigt werden (Nr. 3a), das Fürst Carl August Friedrich zu Waldeck um 1770 gestiftet hat. Unter einer Fürstenkrone, umgeben von einem Hermelincape zeigt das von einem Flammenkranz umgebene Hochoval das sehr gut gravierte Wappen der Fürsten von Waldeck und Pyrmont. Vom Silberarbeiter Philipp Steinmetz hat sich bisher nur ein Satz aufwendig gestalteter Esslöffel nachweisen lassen (Nr. 4a). Ein Konventionstaler von 1781 trägt seine Signatur als Münzmeister (4b). Die abschließende Würdigung der Fähigkeiten dieser beiden, noch ausschließlich im 18. Jahrhundert arbeitenden Goldschmiede ist daher zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich.

Ungleich leichter fällt das bei dem vornehmlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts arbeitenden Hofgoldschmied Friedrich He(i)nrich Pfeif(f)er. Seine Kannen im späten Rokoko der sechziger und siebziger Jahre des Jahrhunderts entstanden, sind in frühklassizistischer Schmucklosigkeit nur guten Proportionen verpflichtet und erinnern so an die hugenottisch beeinflussten Arbeiten Kasseler Goldschmiede der Zeit (Nr. 5a, b).5 Seine Zuckerdose (Nr. 5c), wie auch das Hauptschild, das 1785 Georg, Prinz zu Waldeck, für die Schützengilde von Braunsen gestiftet hatte, arbeitet er hingegen – vielleicht nach den Wünschen seiner Auftraggeber – ganz im naturalistischen Rokoko (Nr. 5e). Er umgibt das bekrönte fürstliche Wappen von Waldeck und Pyrmont mit Fahnen, Trommeln und Kanonenrohren und vergisst nicht, dem Wappen das Pyrmonter Ankerkreuz anzuhängen. Im Kirchensilber gelingt Pfeif(f)er eine so charakteristische Neugestaltung der bei ihm in Auftrag gegebenen Kelche, das es mühelos ermöglicht, sie ihm zuzuschreiben, ohne auf BZ und MZ schauen zu müssen. Das geschieht durch die Gestaltung der Oberflächen von Schaft und Fußrücken. Von letzterem ausgehend lässt er im Wechsel erhabene polierte und eingetieft mattierte Zierstreifen, radial sich verjüngend, in den Schaft hineinlaufen. Er schafft damit hohen Wiedererkennungswert seiner stets feuervergoldeten Kelche (Nr. 5f, i und m).

In der Kirchengemeinde von Helsen hatten sich die Entwurfszeichnungen für eine Abendmahlsgarnitur aus Kelch, Oblatendose und Teller aus dem Jahr 1803 von der Hand Pfeif(f)ers erhalten, erster Gildemeister der Waldecker Goldschmiedezunft zu dieser Zeit. Auf ihnen rechnete er zugleich vor, wieviel Silber er etwa für jeden Gegenstand benötigen würde und wieviele Dukaten zu ihrer Vergoldung. Ihr Kelch ist in genau der gleichen Weise gestaltet worden wie die drei oben genannten Exemplare aus seiner Werkstqtt (siehe nebenstehende, leider leicht oben und unten beschnittene Kopie des Originals). Diese Garnitur, von der heute leider kein Stück mehr in der Gemeinde nachweisbar ist, hat der Goldschmied auch angefertigt und geliefert, seine Quittung an die an ihn erfolgte Bezahlung für diese Arbeit ist noch in Helsen vorhanden.6

Den von einem Mitglied des Waldecker Fürstenhauses um 1790 für die Schützengesellschaft von Mengeringhausen gestifteten Kugelfußbecher gestaltete Johann Christian Berges, was die Form angeht, historistisch (Nr. 6a). Denn dieser Bechertyp, modisch für das 17. Jahrhundert, war im 18. Jahrhundert völlig aufgegeben. Seine Verzierungen hingegen gestaltete er zeittypisch. Mit der Wahl dieser Becherform sollte ganz bewusst auf die lange Tradition der seit dem ausgehenden Mittelalter bestehenden St. Sebastianus Schützengilde hingewiesen werden. Aus ihm ist wohl nie getrunken worden. Vielmehr wird er – zusammen mit einem ähnlich gestalteten zweiten Becher – bei den Umzügen der Schützen als reines Zeremonialgefäß auf Samt von Jungen feierlich den Schilden der Mengeringhäuser Schützenkette vorangetragen. Dass die Wahl der historistischen Becherform ganz bewusst geschah, wird auch dadurch deutlich, dass er eine Zuckerzangen ganz im Stil seiner Zeit im Louis Seize (Zopfstil) gearbeitet hat (Nr. 6b).

Georg Friedrich Welle stellte die bei ihm in Auftrag gegebenen Schilde für die Schützenketten von Wethen und Külte noch komplett selbst her (Nr. 7c bis e). Bei den noch von ihm geschmiedeten Besteckteilen (Nr. 7a, b), dem Gedenkschild von 1819 für die Schützenkette von Wethen (Nr. 7c) und dem Mokkakännchen (7d) wich er bei der Stempelung der Objekte als einziger Goldschmied Arolsens – abgesehen vom Schöpfer der Abendmahlskanne (Nr. 1a) - vorübergehend von der üblichen Kombination von BZ mit FZ ab, indem er für letzteres ein separat gearbeitetes Feingehaltszeichen verwendete und somit das Arolser Beschauzeichen von ihm befreit war (Nr. 7a bis d). Im Folgenden aber markierte er seine Schilde nur noch mit dem MZ, stempelte das FZ zweimal auf und verzichtete ganz auf das Beschauzeichen (Nr. 7e bis g). Die Besteckteile bezog Welle ab 1820 komplett von der Silberwarenindustrie (Nr. 7g, i, j), die Ausgüsse, Henkelbefestigungen, bekrönenden Tierplastiken lieferte ihm als Fertigteile  vornehmlich die Heilbronner Fa. P. Bruckmann & Söhne (Nr. 7k). Nur bei ihm tauchen auf seinen Arbeiten zusätzlich lateinische Großbuchstaben auf, die eine behördliche Beschau seiner Arbeiten mit Zeichenmeisterbuchstaben (A (3mal), B und D (2mal) suggerieren, aber in Wirklichkeit ohne Bedeutung vielleicht die Arbeiten nur „interessanter“ machen sollten.

Aus seiner Vita ist bekannt, dass der sehr vielseitige Philipp Carl Friedrich Kaulbach, Vater des in München später so berühmten Malers Wilhelm von Kaulbach, mehr in seinen anderen Professionen tätig war und sicherlich keine Goldschmiedewerkstatt unterhielt. Als Katholik designte und arbeitete er diese Monstranz (Nr. 8a), die er zusammen mit dem Arzt Thiolier laut Inschrift der katholischen Kirche von Arolsen stiftete. Stempel zum Markieren seiner Arbeiten scheint er nie besessen zu haben. Die von Christian Friedrich Jung bisher bekannten zwei Schilde für die Schützenketten von Korbach und Külte markte er, wie auch ein Besteckteil aus seiner Werkstatt, nur mit seinem Meisterzeichen und einem FZ (12- und 13lötig) (Nr. 9a-c).

Zwar beherrschte Friedrich Ludwig I. Drube durchaus sein Metier, was ein Mokkakännchen im Stil des Frühklassizismus beweist, das er möglicherweise als Ergänzung eines bestehenden Services wohl für Hermine von Waldeck-Pyrmont gearbeitet hat (Nr. 10e). Doch sonst setzt er von Beginn an Fertigteile ein, die er vor allem von der Fa. Bruckmann & Söhne, Heilbronn, nach Katalog bezogen hatte (Nr. 10a, b, d). Seine Aufgabe blieb in solchen Fällen die ästhetische Konzeption des Gegenstandes. Bestecksilber, wenn es für Mitglieder des Waldecker Fürstenhauses bestimmt war, scheint er noch selbst qualitätvoll geschmiedet zu haben (Nr. 10f, i). Während Drube alle diese Gegenstände in der Regel 13lötig herstellte und sie mit dem Arolser BZ und seinem Meisterzeichen versah, markte er die zahlreich 12lötig von ihm gearbeiteten Schilde für die Schützenketten von Korbach, Wethen und Külte konsequent ohne BZ, sondern lediglich mit seinem Meisterzeichen FLD beziehungsweise D und dem FZ. Nur die Schilde von 1849 und 1852 hat er, wohl als Rohlinge von der Silberwarenindustrie bestellt, dann nur noch mit der Legende graviert (Nr. 10l, n).7 Der Kelch von 1861 ist wohl schon komplett ein Produkt der Silberwarenindustrie (Nr.10o).

Auch die Besteckteile des Friedrich Welle sind fertig bezogen, seine Meisterzeichen auf ihnen sind zu Verkäufermarken reduziert worden (Nr. 11a, b). Das gleiche gilt für Schild Nr. 11c von 1832 für die Schützenkette von Braunsen und das Ehrenschild für Pastor Schotte aus Wethen von 1838 (Nr. 11c).

Mit Friedrich Ludwig II. Drube, dem letzten Goldschmied Arolsens gibt es bezüglich Originalität und Qualität einen letzten kleinen Höhepunkt der Waldecker Goldschmiedekunst. Waren die meisten Erzeugnisse Arolser Goldschmiede im 19. Jahrhundert doch eher routiniertes Mittelmaß, gestaltet mit Fertigteilen, so ist F. L. Drube nicht umsonst Hofgoldschmied. Seine beiden Schilde für die Schützenketten von Külte, 1873 (Nr. 14a) und 1874 für Adorf (Nr. 14b) sind überdurchschnittlich gut graviert. Ein letztes Mal leuchtete das nie erlahmte Interesse der Waldecker Grafen und Fürsten auf, ihre Schützengilden zu fördern, als 1881 Heinrich August Hermann, Prinz zu Waldeck und Pyrmont ein zweites Hauptschild für die Schützengesellschaft von Mengeringhausen bei ihm bestellt. Drube löste diese Aufgabe originell, indem er sich am ersten Hauptschild von 1500 orientierend, ebenfalls in einen Dornenkranz statt des Hl. Sebastian als „Schutzpatron“ das Waldecker Fürstengeschlecht einsetzt, indem er dessen Devise „Palma sub pondere crescit“ mit einer Palme visualisiert (Nr. 14e).

 

Anmerkungen

1. https://de.wikipedia.org/wiki/Bad_Arolsen.- https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Aroldessen.

2. Arolsen – Auszug aus der „Topographia Hassiae“ von Matthäus Merian 1655.

3. Erst die geplante Auswertung der Archivalien aus dieser Zeit im Stadtarchiv Bad Arolsen wird hoffentlich Aufklärung bringen.

4. Siehe zum Beispiel Kelch von 1738 in Escheberg, bis heute Patronat der Herren von der Malsburg (Nr. 18.I.a in: Reiner Neuhaus, Glänzende Zeugnisse des Glaubens, Das hessische Patronatssilber, Regensburg 2014) (siehe nebenstehende Abb.).

5. Siehe z. B. Weinkanne des Johann Ludwig Wiskemann, ca. 1760, Nr. 84, in: Kasseler Silber, AK. Staatliche Museen Kassel im Ballhaus am Schloß Wilhelmshöhe, Hg. Reiner Neuhaus u. Ekkehard Schmidberger, Eurasburg 1998.

6. Herr Wolfgang Rest, Museum Mengeringhausen, hat die jetzt nur noch in Kopie vorhandenen Entwurfszeichnungen und die im Original erhaltene Quittung bei Recherchen zur Waldecker Goldschmiedekunst in Helsen entdeckt und dem Autor zugänglich gemacht.

7. Denn ein Schild des Korbacher Meisters Ludwig Vesper von 1846 hat die gleiche Umrissgestaltung mit verstärktem Rand (und zusätzlich eine ruhende geprägte Löwensilhouette) (Nr. 18e), in: Reiner Neuhaus, silber-kunst-hessen.de, Die Goldschmiede von Korbach).

 

Die Goldschmiede von Arolsen - Lebensdaten und Werke
Tabelle mit den vollständigen Lebensdaten aller Arolsener Goldschmiede, einschließlich der Abbildung ihrer bekannten Werke.
Tabelle Arolsen mit Lit.-Verzeichnis.pdf
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