Wie so oft ist auch die Keimzelle Hanaus eine Burg, die erstmals 1143 erwähnt, Eigentum der Herren von Buchen bzw. von Hanau war, wie sie sich abwechselnd nannten. Um 1166/68 tritt als neuer Besitzer eine Adelsfamilie auf, die sich zunächst nach ihrer Stammburg Dorfelden, ab 1191 aber nach der Burg Hanau nannte.

Geschickt erweiterte sie in den folgenden Jahren ihr Herrschaftsgebiet, während sich um die Burg Hanau eine Siedlung entwickelte. König Albrecht verlieh Hanau am 13. Februar 1303 das Markt- und Stadtrecht, das dem Frankfurter Stadtrecht entlehnt war. Hanau durfte Märkte abhalten, sich einen Rat und zwei Bürgermeister wählen und seine Bürger waren von der Leibeigenschaft befreit. Zwar hatten auch die Mitglieder der ersten jüdischen Gemeinde in den Pestprogromen des Jahres 1349 Eigentum und Leben verloren, doch schon zwei Jahre später verlieh König Karl IV. an Ulrich III. für Hanau das Judenregal.

Aufgrund politischer und finanzieller Schwierigkeiten Ulrich V. war die Stadt zwischen 1401 und 1419 an Kurmainz verpfändet. Nachdem Kaiser Sigismund Reinhard II. von Hanau 1429 in den Reichsgrafenstand erhoben hatte, ließ letzterer die erstmals 1317 erwähnte Stiftskirche Maria-Magdalena, die spätere Marienkirche, um den noch heute erhaltenen spätgotischen Chor erweitern. Mit seinem Tod 1451 wurde sie, bereits seit 1349 Hanauer Pfarrkirche, zur Begräbnisstätte der Grafen von Hanau.

Hanau wuchs und erhielt eine erste Vorstadt im Westen außerhalb der ersten Stadtmauer, benannt nach dem Alt-Hanauer Hospital, das an gleicher Stelle gebaut worden war. Angelehnt an die eigentliche Stadtmauer Hanaus erhielt sie 1470 eine eigene Wehrmauer. Ein erstes Rathaus wurde bereits fünfzig Jahre später, weil zu klein, 1527-1538 durch ein neues ersetzt, das heutige „Goldschmiedehaus“.

Schon früh, 1828, schloss sich Hanau unter Graf Philipp II. von Hanau-Münzenberg „in einem gleitenden Prozess“ der Reformation an, die erst unter Philipp III. zu einem ersten Abschluss kam. Man ließ keine neuen Stiftherren für die noch katholische Marienkirche nachberufen: „Das Stift erlosch, die Kirche wurde evangelisch.“ Philipp II. veranlasste den Bau der zweiten Stadtbefestigung nach neuestem technischem Standard der Renaissance, die alle Stadtteile umschloss. Eine zweite Stadterweiterung, noch heute als „Vorstadt“ bezeichnet, entstand bis an die Kinzig, die 1556 überbrückt wurde.

Zweifellos die wichtigste Persönlichkeit für die Entwicklung und spätere Bedeutung Hanaus und erst recht für diesen Beitrag (siehe unten) ist Graf Philipp II. von Hanau-Münzenberg. Da sein Vater früh verstorben war, übte sein calvinistischer Vormund und späterer Stiefvater, Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg, prägenden Einfluss auf ihn aus. Volljährig an der Regierung, machte er als Landesherr von seinem Recht Gebrauch, die Konfession seines Territoriums zu bestimmen. Die Grafschaft Hanau-Münzenberg wurde calvinistisch.

Der Graf schloss am 1. Juni 1597 einen Vertrag mit calvinistischen Flüchtlingen aus Frankreich und den spanischen Niederlanden, sich in Hanau niederzulassen, die Kapitulation der Neustadt Hanau, ergänzt 1604 durch ein sogenanntes Transfix. Sie ist die Gründungsurkunde für die Hanauer Neustadt. Diese Glaubensflüchtlinge waren zunächst im lutherisch dominierten Frankfurt wenig freundlich aufgenommen und behandelt worden. Die Möglichkeit ins calvinistische Hanau zu wechseln war vor allem auch deshalb attraktiv, weil der Ort nicht allzu weit von der für sie weiterhin wichtigen Messestadt Frankfurt entfernt war. Zudem war Graf Philipp Ludwig II. bei weitem nicht so mächtig und einflussreich wie das reiche Frankfurt und daher viel eher bereit, bedeutende wirtschaftliche und politische Zugeständnisse zu machen. Er stellte Baugelände vor der Hanauer Altstadt trotz großen Widerstandes von Kurmainz zur Verfügung, bezahlte die Infrastruktur der Neustadt und die sie schützenden Befestigungsanlagen, gewährte Steuervorteile und politische Selbstbestimmung der neuen Gemeinde.

Mit den reichen Händlern und kundigen Handwerkern für die Herstellung von Luxusgütern kamen Kapital und know how nach Hanau. Einerseits international der Handel mit Golderzeugnissen und Edelsteinen, andererseits lokal und für den Export die Fertigung von Luxusgütern aus den Werkstätten der Tuchmacher, Posamentierer, Leinen- und Zeugweber, der Hosen- und Strumpfstricker, Hutmacher und von entscheidender Bedeutung für unser Thema: der Gold- und Silberschmiede.

Die Neustadt erhielt planmäßig ein schachbrettartiges Straßennetz, umgeben von einer modernen barocken Befestigungsanlage, die sich an die Stadtmauer der Altstadt anlehnte. Die ersten Häuser standen bereits 1597, 1620 waren es bereits mehr als 370. Bis 1611 wurde eine eigene

Doppelkirche (heute Wallonisch-Niederländische Kirche) errichtet mit jeweils eigenem Kirchenraum für die Französisch sprachigen und Niederländisch sprechenden Mitglieder der Gemeinde. Bis 1821 bestanden beide Städte unabhängig parallel nebeneinander, d. h. mit jeweils eigenen Verwaltungen, Stadträten und eigenen Bürgermeistern.

Philipp Ludwig II. ermöglichte 1603 mit einem Privileg die erneute Ansiedlung einer jüdischen Gemeinde zwischen Alt- und Neustadt, allein der gräflichen Verwaltung unterstellt.

Die Position Graf Philipp Moritz von Hanau-Münzenberg war viel zu schwach, um im Dreißigjährigen Krieg eigene Politik zu betreiben. Anfangs auf Seiten des „Winterkönigs“ Friedrich V. (1596-1632), dann auf kaiserlicher Seite, übergab er die Festung Hanau an schwedische Reiterregimenter, als König Gustav II. Adolf von Schweden und seine Armee näher kamen. Statt den Posten eines schwedischen Obersten anzunehmen setzte er sich mit seiner Familie in die sicheren Niederlande ab. Der schottisch stämmige schwedische General Jacob von Ramsay nutzte 1630-1638 Hanau als Stützpunkt zur Kontrolle des Umlands. 1635/36 wurde die Festung Hanau Dank der erst wenige Jahre zuvor errichteten modernen Befestigungsanlagen erfolglos von kaiserlichen Truppen unter General Lamboy belagert. In der Stadt herrschten furchtbare Zustände, denn Tausende waren aus der Umgebung in die Festung geflohen. Nach neunmonatiger Belagerung befreite im Juni 1636 Landgraf Wilhelm V. (1627-1637) von Hessen-Kassel mit einem Entsatzheer die Stadt. Er war mit einer Tochter Philipp Ludwig II., Amalie Elisabeth, verheiratet. Im Februar 1638 wurden durch einen militärischen Handstreich die Schweden und mit ihnen General Ramsay vertrieben und Graf Philipp Moritz wieder in die Regierung eingesetzt.

Als 1642 der letzte Graf von Hanau-Münzenberg verstorben war, erbte laut Erbvertrag die Linie Hanau-Lichtenberg. Da der erst 19jährige Friedrich Casimir von Hanau-Lichtenberg nach damaliger Rechtsauffassung noch minderjährig war, der Dreißigjährige Krieg weiter tobte, war der Antritt der Herrschaft also noch keineswegs gesichert. Daher gelangte er auf Schleichwegen und inkognito, geführt von seinem Vormund Freiherr Georg II. von Fleckenstein-Dagstuhl, nach Hanau. Dort musste er vor Herrschaftsantritt dem Patriziat der Neustadt eine Reihe von Zugeständnissen machen. Vor allem ging es um die Zusicherung der Religionsfreiheit, denn Friedrich Casimir und Hanau-Lichtenberg waren lutherisch geblieben. Zunächst begnügte er sich mit seinem Hofstaat mit lutherischem Gottesdienst in seiner Schlosskapelle. Die 1658-1662 für die lutherische Gemeinde errichtete eigene Kirche, die alte Johanniskirche, diente seitdem als Pfarrkirche der lutherischen Gemeinde, war Hofkirche und Begräbnisstätte des Grafenhauses. Weil es erst mit der Hilfe der Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel 1643 gelang, die Ansprüche Friedrich Casimirs gegenüber Kurmainz durchzusetzen, schloss der Graf mit ihr im Gegenzug einen Erbvertrag ab mit dem Inhalt, dass bei Aussterben des Hauses Hanau die Grafschaft an Hessen-.Kassel fallen sollte. Das trat im Jahre 1736 ein.

Hanau entwickelte sich hinsichtlich seiner Einwohnerzahl in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges und in den folgenden Jahrzehnten sehr positiv, weil sie so ziemlich als einzige Stadt von Plünderungen und anderen Kriegseinwirkungen verschont geblieben war. Ein von Graf Friedrich Casimir 1661 erteiltes Privileg führte zur Gründung der ersten deutschen Fayence-Manufaktur. 1701 bis 1714 erfolgte der Bau von Schloss Philippsruhe.

Als 1736 mit Johann Reinhard III. der letzte männliche Vertreter des Hanauer Grafenhauses verstorben war, fielen laut Erbvertrag von 1643 der Landesteil Hanau-Münzenberg an Hessen-Kassel, aufgrund der Ehe der einzigen Tochter des letzten Hanauer Grafen, Charlotte mit dem Erbprinzen Ludwig (VIII.) von Hessen-Darmstadt, der Landesteil Hanau-Lichtenberg dorthin.

Landgraf Wilhelm VIII. hatte durch Assekuranzakte von 1754 festlegen lassen, dass die Grafschaft Hanau von den hessen-kasselischen Stammlanden getrennt und direkt dem hessischen Erbprinzen Wilhelm (IX.), dem späteren Kurfürsten Wilhelm I. unterstellt wird, für den zunächst noch seine Mutter, Prinzessin Maria von Großbritannien, bis 1764 als Vormünderin regierte. Wilhelm VIII. hatte dafür sorgen wollen, dass sein zum katholischen Glauben konvertierter Sohn Friedrich II. nach seinem Regierungsantritt so wenig Macht wie möglich behielte.

Im Siebenjährigen Krieg stand Wilhelm VIII. auf der Seite Friedrichs des Großen. Deshalb besetzten französische Truppen zwischen 1759 und 1762 Hessen-Kassel und Hanau. Nach Abzug der Franzosen lebte Prinzessin Maria getrennt von ihrem katholischen Ehemann Friedrich II. in Hanau abwechselnd im Stadtschloss und in Schloss Philippsruhe.

Der sonst als geizig verschriene Erbprinz (IX.) hat seine Residenzstadt großzügig durch Bauten gefördert. 1772 stiftete er die Zeichenakademie, eine der ältesten noch bestehenden Ausbildungsstätte für Gold- und Silberschmiede, Graveure, Metallbildner und Anfertiger von Edelsteinfassungen. Auch er vermietete 1776-1783 ein Truppenkontingent von ca. 2000 Mann an seinen Onkel König Georg IV. von Großbritannien für den Einsatz im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg.

In den napoleonischen Kriegen wurde Hanau 1806 durch französische Truppen besetzt. Die Militärverwaltung ließ die Befestigungsanlagen schleifen. 1810-1813 war Hanau Teil des napoleonischen Satellitenstaates „Großherzogtum Frankfurt“. Nach Abzug der französischen Truppen, 1813, wurde Hanau Teil Kurhessens. Kurfürst Wilhelm I. kehrte aus dem Exil zurück und versuchte zum Absolutismus zurückzukehren, indem er jede Änderung rückgängig zu machen suchte. Er verdarb es mit den Bürgereliten und allen, die in den letzten sieben Jahren, z. B. von der Gewerbefreiheit profitiert hatten. Bürgerliche Gegenreaktionen und Revolten waren die Folge. 1817 gründete man in Hanau den ersten Turnverein.

In der „Hanauer Union“ vereinigten 1818 59 reformierte und 22 lutherische Pfarrer sowie zahlreiche Kirchenälteste der ehemaligen Grafschaft Hanau ihre Gemeinden zu einer unierten Kirche. Sie geschah also „von unten“, sicher auch aus ökonomischen Gründen, aber vor allem, weil sich die theologischen Differenzen zwischen den beiden evangelischen Glaubensrichtungen, auch dank Aufklärung, „abgeschliffen“ hatten. Allein die Wallonisch-Niederländische Gemeinde trat der Union nicht bei und ist bis heute eine reformierte Gemeinde.

Erst 1821 wurden im Zuge einer kurhessischen Verwaltungsreform die Altstadt Hanau und die Neustadt zu einer Stadt vereinigt. Im 19. Jahrhundert war Hanau ein Zentrum der demokratischen Bewegung in Deutschland. 1830 kam es zur Rebellion gegen den Neoabsolutismus des Kurfürsten, die jedoch misslang. Denn das Ziel, eine moderne Verfassung, wurde im Zuge der Revolution zwar erzwungen, bald aber durch den Kurfürsten wieder außer Kraft gesetzt. Hanau blieb eine Hochburg bürgerlicher Emanzipation in Kurhessen. In der Märzrevolution, die ihren Ursprung in den schlechten ökonomischen Verhältnissen hatte, verlangte die Hanauer Deputation ultimativ die Wiedergewährung der Verfassung von 1830. Kurfürst Friedrich Wilhelm gab nach, dankte faktisch ab und überließ die Regierungsgeschäfte seinem Sohn Kurfürst Wilhelm II.

Hessen-Kassel stand im Deutschen Krieg an der Seite Österreichs. Nach dem Sieg Preußens in der Schlacht von Königsgrätz am 16. Juli 1866 rückten im gleichen Jahr preußische Truppen in Hanau ein. Kurhessen, die freie Reichsstadt Frankfurt a. M. und das Herzogtum Hessen-Nassau wurden Teil des Königreichs Preußen.1, 2

 

Scheffler räumt 1976 in „Goldschmiede Hessens“ dem bis heute bedeutenden Goldschmiedezentrum Hanau den gebührenden Raum ein. In einer großen Datei versammelte er alle Personen mit ihren aus den Kirchenbüchern gewonnenen biographischen Daten, die in einem Bezug zur Herstellung und zum Vertrieb von Hanauer Gold- und Silberwaren bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts gestanden hatten. Zudem konnte er auf die wichtigen Arbeiten von Lorenz Caspari von 1916 und von Heinrich Bott aus dem Anfang der 70er Jahre zurückgreifen, die sich mit der Gründung und Geschichte des Hanauer Edelmetallgewerbes bis in die Zeit der Silberwarenfabrikation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingehend befasst hatten.3

Das wichtige Kapitel der Anfertigung von Galanteriewaren, wie Dosen und Tabatièren aus Gold und Silber, vor allem durch französisch stämmige Goldarbeiter und Bijoutiers, die angelockt durch das 1736 von Landgraf Wilhelm VIII. erteilte Freiheitspatent mit seinen darin enthaltenen Privilegien, sich als Fabrikanten in Hanau niedergelassen hatten, ist erst kürzlich von Lorenz Seelig in seiner ganzen Bedeutung herausgestellt worden.4

Bereits 1992 hatte Bruno Wilhelm Thiele das „Hanauer Silber des Historismus“ in Wort und Bild vorgestellt. Vertieft, komplettiert und zu einem gewissen Abschluss gebracht wurde 2004 das für Hanau wichtigste Kapitel als Gold- und Silberstadt im Historismus von internationaler Bedeutung durch den hervorragend gestalteten Katalog zur Ausstellung zu diesem Thema.5

1981 würdigte Ina Schneider erstmals in „Hanauer und Kasseler Silber“ die Leistung Hanauer Gold- und Silberschmiede, dann deutlich ausführlicher 1988 im Katalog zur Ausstellung „450 Jahre Altstädter Rathaus, Deutsches Goldschmiedehaus Hanau“.6

Das Ziel dieses Beitrags ist, möglichst alle erreichbaren Silberarbeiten, die in den Werkstätten Hanauer Silberschmiede entstanden, hier in Farbe und mit ihren Beschau- (BZ) und Meisterzeichen (MZ) zusammen zu führen. In allen oben zu diesem Thema genannten Abhandlungen sind nur wenige Abbildungen der Werke wirklich von guter Qualität. Ihre Beschreibung erfolgte nur summarisch, BZ und MZ wurden zwar genannt, aber nie abgebildet. Das aber ist unbedingt notwendig, um Werke nicht nur durch ikonografische Zuordnung zeitlich richtig einzuordnen.

Folgendes Beispiel soll das verdeutlichen. Bis jetzt schrieb man ein Paar Brotbecher mit Deckeln im Besitz der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde dem Hanauer Goldschmied Justus Stauw (Nr. 52 der Tabelle) zu. Sie habe er - laut Inschrift auf dem verloren gegangenen Futteral – 1792 angefertigt.7 Sieht man davon ab, dass solche Becher zu diesem Zeitpunkt in Auftrag zu geben selbst in streng reformierten Gemeinden völlig ungewöhnlich wäre, schien mit dem Hanauer BZ und dem MZ IS alles seine Ordnung zu haben. Doch die zwei verschiedenen auf den Bechern vorhandenen BZ gehörten nicht ins späte 18. sondern laut datierten anderen Werken in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die MZ mit den Initialen IS befinden sich in der Mitte eines Schildes, für das späte 18. Jahrhundert ebenfalls sehr ungewöhnlich. Datiert man die Becher den BZ nach ins späte 17. Jahrhundert, dann musste es für diese Zeit auch einen Meister IS gegeben haben. Und in der Tat: Meister Johann Jacob II. Simons hat diese Brotbecher 1692 gearbeitet. Durch einen Fehler in der Übermittlung war das eigentliche Entstehungsdatum auf dem Futteral wohl nicht 1792 sondern 1692. Deshalb wird der nachfolgenden Tabelle ein erstes Verzeichnis der Hanauer Beschauzeichen vorangestellt, das, wenn vor allem die BZ auf den im Historischen Museum Hanau, Schloss Philippsruhe, vorhandenen Werken eingefügt sind, sehr wahrscheinlich erweitert werden wird.

Ein weiterer Grund, möglichst alle Hanauer Arbeiten mit ihren Marken abzubilden, vermeidet Verwechslungen mit dem Beschauzeichen auf Silberarbeiten von Bielefeld. Denn auch dort besteht es etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts aus drei gleichgerichtet nach unten weisenden Sparren, gleich Hanauer BZ in gleicher Zeit.8

Abweichend vom bisher durchgehend gewählten Titel „Die Goldschmiede von …“ heißt er hier begründet „Die Silberschmiede von Hanau“. Denn in den Artikeln der Zunft, die sich die Gold- und Silberschmiede der Städte Alt- und Neuhanau 1610 gegeben hatten, wird ausdrücklich zwischen beiden Teilen des Handwerks unterschieden. „Keiner durfte das Handwerk des anderen ausüben, es sei denn, er habe in dem betreffenden Berufszweig eine Probearbeit geliefert.“9 Selbstverständlich konnte ein Meister auch Gold- und Silberarbeiter sein, aber nur, wenn er nach abgeschlossener Lehre in einem Teilgebiet, eine weitere Lehre im zweiten Teilgebiet draufgesattelt hatte. Das prominenteste Beispiel dafür ist Henrich Ferein (Nr. 30), der als Gold- und Silberschmied Lehrjungen in beiden Teilbereichen ausbilden durfte.10

Startpunkt der Hanauer Goldschmiedekunst ist zweifellos die Kapitulation von 1596, die auch zur Ansiedelung von aus Glaubensgründen geflüchteten Edelmetallhandwerkern geführt hatte. Sicher wird es auch zuvor schon Gold- und Silberarbeiter in der Residenzstadt Althanau gegeben haben. Doch abgesehen von einem bedeutenden Akelei-Pokal eines Meister FN in Ligatur, datiert 1565, versehen mit dem Hanauer BZ, der 1911 in Paris versteigert wurde, bei Rosenbaum 1914 in Frankfurt auftauchte und seitdem verschollen ist,11 hat selbst H. Bott bei seiner gründlichen Recherche keine Goldschmiede, die im 16. Jahrhundert Hanaus gewirkt haben, ausfindig machen können.

Und so beginnt die Reihe der Goldschmiede hier wie auch bei Scheffler mit Jakob de Gorge (Nr. 1). Seine Herkunft ist nicht bekannt. Zunächst in Herborn, dann in Diez tätig, zieht er laut Aufnahmeantrag 1595 nach Hanau. Mit Sicherheit war er Mitglied der sich bildenden Wallonisch-Niederländischen Gemeinde. Aufgrund der erstmals vollständig zur Auswertung zur Verfügung stehenden digitalisierten Kirchenbücher dieser Gemeinde gelang die Komplettierung der Biographien fast aller Silberschmiede Hanaus im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, denn sie alle waren Flüchtlinge gewesen, kamen als fertige Meister und wurden dort Mitglied. Doch obwohl die KB dieser Gemeinde zum Teil noch vor 1600 beginnen, die der Beerdigungen erst 1609, konnte bisher nichts Weiteres zur Person de Gorges gefunden werden.

Sein stilbildender Einfluss auf die Silberschmiede Hanaus aber bleibt bis in des letzte Viertel des 18. Jahrhundert nachweisbar. Wie in allen bisher beschriebenen hessischen Städten, kann das Können der Gold- und Silberschmiede bis ins späte 18. Jahrhundert aus den an anderer Stelle immer wieder aufgeführten Gründen wieder nur im Wesentlichen über das Kirchensilber beurteilt werden.

Grandiose Ausnahme bleibt natürlich der Ratspokal des Johannes Rappolt, gearbeitet zwischen 1621 und 1625 (3a). Der in Augsburg ausgebildete Meister verfügte nicht nur über stupendes handwerkliches Können. Hochgebildet ist er in der Lage, auf den verschiedenen Teilen des Pokals und seines Deckels ein reiches ikonographisches Programm mit allegorischen Darstellungen zum guten Ratsregiment und der Tugenden eines guten Herrschers umzusetzen.12

Nur einige Weinbecher ab der Mitte des 17. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts sind Beispiele profanen Silbers der beiden Hanauer Städte. Neben einfacher Ausführung als Kugelfußbecher (14b oder 18a), zeigen vier Becher von Guillian II. von den Velden, seinem Sohn Guillian III. und George Marchand bis zum Ende des 17. Jahrhunderts „Augsburger Blumenbarock“ in guter Ausführung auf ihren Wänden (15b, 17a, b, 19a). Dass letzterer auch ein ungewöhnlich guter Graveur war, beweist sein um 1700 entstandener Becher mit Burgansichten in querovalen Kartuschen, umgeben von reichem Akanthus-Rankenwerk (19b). Johann Benedictus Fuchs und Henrich Ferein steuern 1701 einen Becher mit graviertem Besitzerwappen (29b) und um 1720, spät, einen schwitzgeschlagenen Becher bei (30d). Etwa zeitgleich ist mit einer Löffelschale des Daniel I. Marchand das erste Tafelsilber Hanaus bekannt (31a).

Wie bereits oben angesprochen, übte Jacob de Gorge vor allem mit einem seiner zwei erhaltenen Kelche großen Einfluss auf ihm nachfolgende Kollegen aus. Sein laut Rechnung 1596 an die Kirchengemeinde Windecken gelieferter Kelch (1a), nur 22 cm hoch, hat eher das Aussehen eines Renaissance-Pokals. Trotz des vertikalen Zungendekors, der der Kuppa vermittelt, in einem Körbchen zu sitzen, ist der Kelch durch seine horizontale Gliederung von Fuß, Fußplatte, den Horizontalwulst des Nodus, der zur Verstärkung dienenden zwischen geschobenen Platte, auf der die Kuppa aufsitzt und die durch horizontale Wulstringe erfolgte Gliederung der Kuppawand noch deutlich der Renaissance verpflichtet. Noch mehr gilt all das für den bisher weitgehend unbekannten zweiten Kelch mit Deckel für die Kirche der ehemals bedeutenden kleinen Ortschaft Rossdorf, Kirchenkreis (Kk) Hanau-Land), da durch den Stülpdeckel mit überstehendem Rand die Horizontale noch stärker betont wird (1b).

Doch nicht die Renaissance-Merkmale der Kelche de Gorges prägen später Kelche aus Hanauer Werkstätten. Dem stilbildenden Motiv des aus vertikalen Zungen vor punziertem Hintergrund scheinbar gebildeten Körbchen des unteren Drittels seiner Kelche wird nachgeeifert. Gut hundert Jahre später fertigte Cornelius Rödi(n)ger einen Kelch mit Deckel für eine Gemeinde im Kk Hanau-Land, dessen Kuppa mit ihrer Körbchen-Ornamentik und den vier aus Schleifen geformten gravierten Kartuschen mit Zitaten aus drei Evangelien und einer Stelle aus einem Korintherbrief des Paulus gleich denen auf dem Windecker Kelch de Gorges, dass seine Erstbeschreiberin glaubte, eine weitere erhaltene Originalkuppa dieses Meisters vor sich zu haben (28a). Erneut griff um 1780 Justus Stauw für die Gemeinde Niederdorfelden, Kk Hanau-Land, diese Form der scheinbar in einem Körbchen sitzenden Kuppa auf (52a), und, zehn Jahre später, ein letztes Mal Meister Cornelius Schulz für die Gemeinde Marköbel, Kk Hanau-Land (57a).

Die calvinistischen bzw. deutsch reformierten Gemeinden lehnten im Gegensatz zu denen der Lutheraner die Übernahme der Kelchformen aus vorreformatorischer Zeit zunächst strikt ab. Stattdessen sollten Becher gleich denen im Alltagsgebrauch für das Abendmahl genutzt werden. Hans Jakob I. Simons fertigte 1650 einen solchen ohne jeden Dekor in exakter Treibarbeit für eine kleine Gemeinde nahe Bacherach an (14a), sein Sohn Jakob II. um 1692, schon deutlich aufwendiger und vergoldet, wie bereits oben ausgeführt, zwei Brotbecher mit Deckeln für die Wallonisch-Niederländische Gemeinde Hanaus (18a, b). Auch der Brotteller des Wilhelm Ferein, 1690 gearbeitet, bleibt exakt getrieben, gänzlich ohne Zierat (16a). Der 1649 vom Bürgermeister einer kleinen Gemeinde bei Bacherach gestiftete Kelch, den Guillian II. von den Velden anfertigte, weicht von den üblichen Formen der Zeit völlig ab. Er gleicht in seiner schlanken eleganten Ausführung eher venezianischen oder façon de Venise Weingläsern der Zeit (15a).13

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts beweisen Johann George Fuchs und sein Bruder Johann Benedikt mit ihren Abendmahlskannen (26b, 29c), letzterer auch mit einer Taufkanne (29a) mit exakter Treibarbeit und Gefühl für Proportionen, weniger durch Gravur, ihr Können für die alte Johanniskirche Hanaus. In ihrer birnen- und zylinderförmigen Ausführung gleichen sie den profanen Wein- oder Bierkannen der Zeit. Doch wie überall – jedenfalls in Hessen – ein Unterschied bleibt: Sie stehen abgesetzt auf hoch gewölbten Füßen mit relativ schmalen eingezogenen –hälsen, was ihnen auf Kosten der Standsicherheit mehr Imposanz verlieh.14

Zweifellos der begabteste Silber- und Goldschmied Hanaus ist in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Henrich Ferein. Seine breite Ausbildung in beiden Zweigen seines Berufes zeigt er mit dem Taufgeschirr, das er 1722 für die Wallonisch-Niederländische Gemeinde Hanaus angefertigt hat (30a, b). Seine Taufkanne hat zwar die gleiche Ausformung wie die des Johann Benedictus Fuchs (29a). Während jene steif und unglenk erscheint, wirkt Fereins Kanne mit ihrem mit Godronen abgerundeten Boden und gewölbten Deckel beschwingt. Wie auf seiner Taufschüssel im Zentrum des Spiegels und auf ihrer Fahne, so auch auf der Mitte und am Rand der Kanne, zeigt er mit hervorragend graviertem Bandelwerk sein Können. Stolz signierte er auf der Schüsselunterseite.

Mit seinen zahlreichen Gesellen und Lehrjungen hatte Fereins Werkstatt wohl als einzige in Hanau die Kapazität, auch größere Aufträge bedienen zu können. Obwohl Hersteller und Markennamen nicht angegeben wurden, traut Gerhard Bott Ferein zu, das im Verzeichnis von 1737 aufgeführte große Silberservice für den Grafen Johann Reinhard III. (1665 - 1736), seinen Landesherren, in seiner Werkstatt gefertigt zu haben.15

Die 1714 und 1720 gestifteten Oblatendosen in ovaler bzw. runder Form des Johann David Altvatter (27a) für die Kirche Groß-Umstadt und Johann Benedictus Fuchs (29d) für die Gemeinde Heldenbergen, Kk Hanau-Land, sind in Zargenarbeit entstanden. Sie unterscheiden sich nicht von Dosen profanen Gebrauchs der Zeit. Letztere zunächst in adligem Besitz, wie das Spiegelmonogramm unter einer Baronskrone verrät, wurde wohl erst nach dem Tod des Besitzers zur Oblatendose umgewidmet. Die auf gleiche Weise 1797 von Johann Caspar Löschhorn für Lohrhaupten, Kk Gelnhausen, geschaffene kleine Oblatendose für die Privatkommunion der bettlägerigen Kranken war allerdings von Beginn an für den auf ihr vermerkten Zweck in Auftrag gegeben worden (46r).

Zwei Dosen in Kastenform haben sich erhalten. Die um 1730 von Ernestus Römer auch in Zargenarbeit geschaffene Besamimbüchse mit seitlichem Schiebedeckel auf vier Füßchen und innen aufgeteilt in vier Kompartimente, scheint in einer bewusst altertümlichen Form gearbeitet zu sein (34a). Denn diese Dosenform ist eher typisch für das 17. Jahrhundert und eigentlich hier bereits gänzlich unmodern.16 Die 1749 in die Gemeinde Linsengericht / Altenhaßlau, Kk Gelnhausen, gestiftete Dose des Jobst Pantzerbieter, ebenfalls auf vier Füßchen und Scharnier-Klappdeckel dürfte zunächst als profane Schatulle gedient haben (32c).

Mit der von Calvin geforderten Bescheidenheit bei der Verwendung von Edelmetallen für Abendmahlsgeräte war es nie weit her in den reformierten Gemeinden. Und ab Ende des 17. Jahrhunderts auch mit den Stifterinschriften und -widmungen. Auf dem einzigen vas sacrum der Marienkirche, das das schreckliche Bombardement am 19. März 1945 überstanden hatte, ein Brotteller auf drei Füßchen, den Michael Peltzer 1671 angefertigt hatte, steht auf der Vorder-, nicht auf der Rückseite der Fahne, stolz der Stiftername (20a). Gleiches ist auf den zwei Brottellern für die Wallonisch-Niederländische Gemeinde zu beobachten, die zu Ostern 1740 Ernestus Römer geliefert hatte. Mit ihnen bewies der Silberschmied sein überdurchschnittliches Können. Äußerst exakt ist der mehrfach profilierte zwölfpassige Rand beider Teller mit einem Durchmesser von 30 cm gestaltet. In die Mitte der Spiegel gravierte er die Wappen der Stifter. Über die gesamte Spiegeloberfläche ließ er punktiert-graviert in Großbuchstaben die Stifternamen und –daten laufen, so dass sie auf der vergoldeten Fläche nur schattenhaft wahrnehmbar und fotografisch schwer abzubilden sind (34b, c).

Anders auf dem Brotteller des Johann George Fuchs von 1701 für die Gemeinde Linsengericht / Altenhaßlau, Kk Gelnhausen. Die Oberseite der Fahne des sehr exakt flach geschmiedeten Tellers mit kurzem Steigbord ist in sechs gleich große gravierte Felder aufgeteilt. Auf drei der so entstandenen Medaillons sind schmückend zweizeilig die Worte des Johannes-Evangeliums Cap. 6 V 35 graviert. Auf gleiche Weise angeordnet erscheinen auf der Rückseite der Fahne die Namen der Stifter, der Name des mitstiftenden Pfarrers steht auf der Unterseite des Spiegels (26a).

Auch die Oberfläche des gefußten Abendmahltellers, wie ein Präsentoir 1778 von Johann Caspar Löschhorn für die Gemeinde Wachenbuchen, Kk Hanau-Stadt gearbeitet, bleibt von Inschriften frei. Auf seiner Unterseite aber werden Stiftungsanlass und –datum und die Namen der Stifter graviert genannt (46b). Ein Kuriosum ist abschließend der Oblatenständer mit Deckel, den Johann Conrad Lauck um 1820 für die Johanniskirche in Hanau arbeitete. Die Tellerfläche auf einem Ständerfuß hat nur einen wenige Millimeter hohe Umrandung, so dass die Oblaten über die Fläche breit verteilt werden mussten, um sie mit dem als Strahlenkranz geformten und mit einem lateinische Kreuz als Handhabe versehenen Deckel abdecken zu können (62h).

Die ab dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts aus den Werkstätten der Silberschmiede Johann Benedikt Fuchs, Jobst Pantzerbieter und Johann Christoph Rodschied stammenden Kelche (29e, 32a, b, 44a-c) weisen keine für Hanau typischen Merkmale auf. Sie sind mit ihren passigen Füßen und deren gewölbt-gestufter Schulter, ihren kantigen Balusterknäufen und becherförmigen Cuppae so auch in anderen hessischen Städten anzutreffen. Rodschied scheint sie seriell ausgeführt zu haben. Es könnte, dem Autor zufolge,  dieser Typus Kelch von Goldschmieden Frankfurts erfunden stilbildend zum Vorbild geworden sein.

Abweichend von diesem Schema zeigen sich der Kelch mit Deckel, den um 1726 Daniel I: Marchand für die Gemeinde Gundhelm, Kk Schlüchtern, schuf (31b) und der Kelch des Henrich Hennemann von 1764 für die Gemeinde Kesselstadt, Kk Hanau-Stadt (36a). Bei ersterem mit Deckel mehr ein Ziborium, sitzt auf hohem Standfuß eine Kuppa in Form eines großen Weinbechers der Zeit. Der Kelch Hennemanns weist in seiner Passigkeit keine Kanten auf, besitzt einen klassischen Balusternodus mit nach rechts drehenden schmalen Zügen und ein glockenförmige Kuppa. Die zu den Kelchen gehörenden Patenen unterscheiden sich, wenn auch in der Regel kleiner, in ihrer Form nicht von profanen Tellern der Zeit.

Auch in Hanau kam es im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts zum Niedergang des gesamten Edelmetallgewerbes. Die Auswirkungen der Französischen Revolution, der Versuch, sie in den Allianzkriegen einzuhegen, die Verarmung von Teilen des Bürgertums und Materialknappheit führten zum drastischen Rückgang der Aufträge auch für die Silberarbeiter der Stadt. Trotzdem sind aus dieser Zeit erstmals wieder profane Silbergegenstände erhalten, entweder im Louis XVI. meist mit farbigem Glaseinsatz, wie z. B. das Konfektkörbchen des Johann Christoph Rodschied (44f) und / oder im klassizistischen Stil, erstmals auch unter Verwendung geprägter Teile, wie das Leuchterpaar und ein Einzelleuchter des Corneliius Schulz (57b, d).

Erbprinz Wilhelm VIII. (1743-1821) hatte mit der durch Stiftungsbrief am 22. Juli 1772 gegründeten „Hanauische Academie der Zeichenkunst“ die entscheidende Unterstützung für die weitere Entwicklung des Hanauer Edelmetallgewerbes bis in unsere Tage geleistet. Um das Jahr 1790 ließ er einen größeren Auftrag bei dem Hanauer Meister Johann Caspar Löschhorn platzieren. Die bei ihm bestellten Gegenstände hatten nur zum Teil repräsentativen Zwecken zu dienen, wie einige Vorlegeplatten, die dann auch sein bekröntes Monogramm zeigen (46g, i). Vielmehr taten die meisten von ihnen Dienst in seinem privaten Haushalt. Und dessen Ansprüche waren nicht so viel größer als die, die einen wohlhabenden bürgerlichen Hausstand zu dieser Zeit ausmachten.

Die erhaltenen Gerätschaften zeigen eindrucksvoll, welche Ausdifferenzierung die Tafelkultur Ende des 18. Jahrhunderts inzwischen erreicht hatte. Wie der Gewürzständer in Pyramidenform und die Salzschälchen (46k, l) arbeitete Löschhorn auch die Wanne zur Kühlung der Gläser und die zwei Weinflaschenkühler im Material sparenden Louis XVI. mit geschliffenen blauen Glaseinsätzen (46m, n). Die die Wand bildenden Gitter der Weinkühlgarnitur sind noch sehr exakt aus Silberblechen gesägt und nicht geprägt. Sie, wie auch die Eierbecher, aus denen man noch wahlweise auf deutsche Art liegend oder auf französische stehend sein Ei auslöffeln konnte (46c, j) und auch die übrigen Gerätschaften, ob Zucker- oder Kloßlöffel, Stielsiebe, Butterschaufel oder Spargelzangen, sie alle sind wie die Saucièren oder die runde Vorlegeplatte zur Ergänzung des 1760 in London, immer noch ganz unter französisch dominierendem Einfluss entstandenen und 1770 erweiterten Service zugearbeitet (46d-f, h, o-q).

Johann Conrad Lauck ist der letzte bedeutende Meister Hanaus, der in handwerklicher Tradition ausgebildet noch alle klassischen Techniken beherrscht und anwendet. Als erstes Beispiel dient der Kelch, den er um 1800 in barockem Stil einem Kelch des Meisters Jobst Pantzerbieter, um 1740, (32b) genau nach- und zuarbeitete, weil die Zahl der Gemeindemitglieder in Meerholz-Heiler, Kk Gelnhausen, stark angestiegen war (62a). Er folgte mit seiner Kopie einer Jahrhunderte gültigen Tradition – jedenfalls im Bereich der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck - , bei Bedarf nicht etwa ein neues vas sacrum nach neuester Mode anzufertigen, sondern hier dem schon bestehenden den zweiten Kelch im gleichen Stil nachzuarbeiten. Den für die Gemeinde Mittelbuchen, Kk Hanau-Stadt, 1814 geschaffenen imposanten Kelch mit Deckel arbeitete er dann im klassizistischen Stil der Zeit (62c).

Die geschätzt um 1815 entstandenen, wegen ihres nur einmal aufgetauchten MZ I über CL Lauck nur zugeschriebenen sechs Dessertlöffel gefallen durch die ungewöhnliche Form der Griffe (62d). Als geprägte Fertigteile ab 1815 in schnell zunehmenden Mengen verfügbar wurden, setzt sie auch Lauck, z. B. bei einer Teekanne aus adligem Besitz, bald ein (62e).

Für welches Mitglied der Kurfürstenfamilie er die im biedermeierlichen Stil um 1810/15 außerordentlich qualitätsvolle Schokoladentasse mit Untertasse, auch hier schon unter Verwendung wohl aus französischer Produktion stammender Fertigteile, gearbeitet hat, kann nicht mehr geklärt werden (62b).

Im Gegensatz zu seinem Vater, legte Kurfürst Wilhelm II. Wert auf eine aufwendige Hofhaltung. Kaum an der Regierung, beauftragte er zunächst die zu dieser Zeit besten Kasseler Goldschmiede mit der Erweiterung und Komplettierung seines Hofservices. Da Lauck offensichtlich hohes Ansehen und Vertrauen genoss, bezog ihn der Kurfürst in die Beschaffungen mit ein.

Das Kannenpaar, Serviertablett und die Waschschüssel (62i-k) schuf er mit unterschiedlicher Verwendung von Fertigteilen. Beim pompösen Kannenpaar ist lediglich die Gefäßkonzeption Laucks Beitrag, denn er fertigte es vorwiegend unter Verwendung zahlreicher Fertigteile der Fa. Bruckmann und Comp., Heilbronn. Dagegen ist die exakt getriebene Waschschüssel bis auf das geprägte Endlosband zur Verstärkung des Randes allein sein Werk. Und so geht es weiter mit zum Teil auch wirklich großen Aufträgen, wie zum Beispiel die Bestellung von wohl ursprünglich 160, jeweils über 100 g schweren Suppenlöffeln und 120 Menügabeln, alle graviert WII.K unter einer Fürstenkrone (62m). Die Zuckerschale mit diamantiertem Glaseinsatz wiederum besteht fast ausschließlich aus geprägten Fertigteilen. Doch die zugegeben gelungene Konzeption der Schale als biedermeierliches Freundschaftsdenkmal zeugt von Laucks Ideenreichtum (62l). Witzig ist sein Einfall, für die Griffenden einer zu 12 Dessertlöffeln gehörenden u-förmig gebogenen Zuckerzange geprägte Schmetterlinge zum Fassen des Würfelzuckers anzulöten (62o1, 2).

Orientiert an den fabrikartig geführten Pariser Goldschmiede-Manufakturen von Jean Baptiste Claude Odiot oder Martin Guillaume Biennais besonders deutlich erkennbar an der Urnenform des Eierbechers, der nur noch die französische Art des Ei Auslöffelns zulässt und an der von Sphingen getragenen Gewürzdose mit zwei Kompartimenten, arbeitete die ebenfalls zu diesem Zeitpunkt schon fabrikartige Werkstatt Laucks sechs Mal einen Bestecksatz für eine Person im Kasten (62p). Die Griffe der Besteckteile haben aus Lorbeerkränzen geprägte Oberflächen und zeigen darin mittig, gleichfalls geprägt, das Monogramm WK / II. unter der Fürstenkrone. Bis auf die Messer und Gabeln sind alle Teile aus 14½ lötigem Silber und darüber hinaus schwergewichtig, wie z. B. die Gewürzdose mit 283,5 g. Die äußerst exakt gearbeiteten Bestecksätze sind Beweis für die Leistungsfähigkeit der Lauckschen Großwerksatt.

Den Löwen am Schellenbaum des Kurhessischen Leibgarde-Regiments, heute Museumslandschaft Hessen, Schloss Friedrichstein, schuf Lauck 1823. Heraldisch nach rechts aufsteigend, hält der bekrönte Löwe in seiner rechten Tatze ein Schwert, in der linken in vielfarbigem Email das seit 1815 geltende Staatswappen Hessen-Kassels (62n). Mit seiner Darstellung des Hauses Hessen-Kassel zeigt sich Lauck auf der Höhe seines kunsthandwerklichen Könnens. Bei anatomischer Genauigkeit ist die Figur des Löwen kraft- und zugleich würdevoll „das“ Ideal einer symbolischen Herrscherdarstellung. Das vielfarbige Schild des Staatswappen mit seiner großen Zahl an Teilwappen, die das Herzschild mit dem steigenden Löwen umgeben, zeigt damit auch die souveräne Beherrschung einer komplizierten Goldschmiedetechnik an, die Lauck als Silberschmied nicht eigentlich hätte beherrschen müssen.

War es bisher das Bemühen des Autors, möglichst alle erreichbaren, in handwerklicher Tradition hergestellten Silberwaren der Hanauer Silberschmiede in einer Tabelle zusammen zu führen, kann es nach der Umwandlung der Werkstätten im Zuge der eingesetzten industriellen Revolution zu Silberfabriken nun nur das Ziel sein, mit einzelnen Arbeiten – meist für prominente Auftraggeber – das dann immer noch handwerkliche Können der Inhaber dieser Fabriken herauszustellen.

So sind zahlreiche, nur durch Widmungsinschriften unterschiedene Kelche des schlanken Typs mit glockenförmiger Kuppa (65a) und des mehr behäbigen Typs mit mehr becherförmiger Kuppa (65c) aus der Silberwarenfabrik des Johann Daniel Schleissner erhalten, allesamt aus geprägten bzw. gegossenen Fertigteilen zusammengefügt. Das Teegeschirr in historistischem Stil mit seinem Samowar im Zentrum beweist die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Die aufwendig verzierten godronierten Wände der Gefäße sind nicht getrieben, sondern aus Silberblechen gedrückt und dann zusammengelötet. (65d). Dafür ist die etwas später für die Fürstin Gertrude von Hanau angefertigte, leider nicht mehr komplette Toilettengarnitur ein gutes Beispiel für die handwerklichen Fähigkeiten Schleissners. (65e). Da es sich bei allen Teilen der Garnitur im spätklassizistischen Gebrauchsstil um Einzelanfertigungen handelt, wurde die Waschschüssel getrieben und nur die Ränder zur Verstärkung mit geprägten gebördelten Bändern belegt. Die sehr funktionale Kanne in guten Proportionen dürfte in Zargenarbeit entstanden sein und war Scheffler als gutes Hanauer Erzeugnis eine Abbildung wert. Die Deckel der erhaltenen diamantierten Glasgefäße sind getrieben und erhielten gebördelte Randverstärkungen. Gegossene Eichelknäufe dienen als Handhabe.

Sein Neffe Johann Conrad Wilhelm Hessler hatte1826 die Silberwaren-Manufaktur des Johann Conrad Lauck übernommen. Kelch, Abendmahlskanne und diverse Besteckteile, allesamt Industrieprodukte wurden nur wegen ihrer verschiedenen Beschau- und Meisterzeichen abgebildet, mit denen die Erzeugnisse seiner Fabrik gekennzeichnet wurden (69b-h). Auch Hessler besaß als Nachfolger Laucks das Vertrauen von Kurfürst Wilhelm II. und wurde um 1830 mit größeren Aufträgen bedacht. Während die Kraterform seiner Zuckerschale sehr typisch für die Zeit ist,17 (69i), zeigt die Fa. Hessler mit ihrem Kannenpaar für den Kurfürst, zu welch überladen-manieristischen, ja bizarren Lösungen man griff, um zu zeigen, was technisch möglich ist (69j). Dagegen hat der Girandolleuchter aus gleicher Zeit durchaus zu einer technisch und ästhetisch befriedigenden Lösung mit eben den gleichen technischen Mitteln geführt. (69k).

Nicht umsonst wurde der in der Silberliteratur Hanaus immer wieder aufgeführte Ehrenpokal für Bürgermeister Eberhard aus dem Jahr 1831 abgebildet (69a). Er ist das abschließende positive Beispiel für Hessler, was im Zusammengehen von handwerklicher und industrieller Kompetenz möglich ist. Ein kluges Bildprogramm soll die beschlossene Kurhessische Verfassung mit der immer noch absolutistischen Regierung des Kurfürsten versöhnen. Umgesetzt wurde es in einem nicht übertreibenden Historismus, dem erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auch künstlerische Bedeutung zugesprochen, jetzt fraglos seinen Platz in der Geschichte der Angewandten Kunst gefunden hat.

Die von Daniel Philipp August Schleissner gefertigte Kopie des Hanauer Ratsbechers von 1880 beschließt eindrucksvoll die Leistungen der Hanauer Silberschmiede. Hier geht es nicht um künstlerische Innovation, sondern um die überragenden Fertigkeiten des Besitzers einer großen Silberwarenfabrik. Seine Fähigkeiten im Ziselieren fanden große Bewunderung bei seinen Zeitgenossen und beeindrucken auch noch heute.

 

Anmerkungen:

1. http://www.hanau.de/mam/logos/wappen/stadtwappen-500.jpeg.

2. Ausführlich exzerpiert aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Stadt_Hanau.

3. Scheffler, Hessen.- Caspari, 1916.- Bott, Heinrich 1970/71.

4. komplettieren!

5. Thiele, Hanauer Silber des Historismus.- Hanau 2004.

6. Schneider/Schmidberger 1981.- Schneider, Ina, Geschichte Hanauer Gold- und Silberschmiede.

7. S. 77, in: Schneider, Ina, Geschichte Hanauer Gold- und Silberschmiede.

 

8. Eine Zuckerdose, 1720/30 entstanden (Kunstauktionshaus Schlosser GmbH & Co-KG, Bamberg, 29./30.7.2016, Los 602) ist gemarkt mit Sparrenschild und Meisterzeichen HF ligiert (siehe rechts).

Erst das dargestellte, ganz anders gerahmte, aber auch ligierte MZ HF des Hanauer Meisters Henrich Ferein (Taufkanne 30a) machte klar, das die Zuckerdose in Bielefeld von dem Meister Hermann Feurberg gearbeitet wurde. Siehe auch: Beschauzeichen Deutscher Städte, Stichwort Bielefeld.
9. Wie 7 a.g.O., Seite 69.

10.Wie 7 a.g.O., S. 75/76.

11.Wie 7 a.g.O., S. 71/72.

12. Siehe dazu ausführlich: Bott, Gerhard, Hanauer Ratspokal, 1990.- Merk, Hanauer Ratspokal, 1990.

13. Saldern, Axel von , Façon de Venise, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VI (1973), Sp. 1024–1048; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88856> [04.12.2021], RDK VI, 1027, Abb. 3. Nürnberg, 1566. Spitzkelch auf Löwenbaluster, FO: Lüneburg, An der Münze (Einzelfund)

farbloses Glas mit gelbgrünem Stich, Diamantriss, geklebt, H 18,1 cm; Ø Fuß 6,9 cm; Ø Lippe 7,2 cm; Gd. 1,6 mm, Niederlande oder England, um 1600, in: https://www.stadtarchaeologie-lueneburg.de/mag/gls-kelch05.htm.

14. Siehe Satz von fünf Abendmahlskannen, Reiner Neuhaus, Die Goldschmiede von Marburg, Einleitung, in: silber-kunst-hessen.de.- Siehe 9a Abendmahlskanne, Reiner Neuhaus, Die Goldschmiede von Darmstadt, Tabelle, in: silber-kunst-hessen.de.- Siehe S. 21,Ic Abendmahlskanne, 1678, ohne Marken, in: Reiner Neuhaus, Glänzende Zeugnisse des Glaubens, Das evangelische Patronatssilber Hessens, Regensburg 2016.- Nr. 22, Abendmahlskanne, Kassel 1675, Johannes Jehner, in Stadtkirche Friedberg, Katalog, in: Kassel 1998.

15. S. 90-95, in: Gerhard Bott, Das Silberservice des Grafen Johann Reinhard III. von Hanau-Lichtenberg.

16. Siehe 9b Hostienkasten, 1623, des Darmstädter Meisters Johannes Schenck, Reiner Neuhaus, Die Goldschmiede von Darmstadt, Tabelle, in: silber-kunst-hessen.de.

17. Kat. Nr. 218, Konfektschale, Georg Friedrich Weigel, zwischen 1839 und 1832, in: Kassel 1998.- Kat. Nr. 179, Salzschälchen mit Monogramm FW, Heinrich Wilhelm Kompf, 1820-1825, in: Kassel 1998.

 

Die Silberschmiede von Hanau - Lebensdaten und Werke
BZ und Tabelle mit den vollständigen Lebensdaten der Hanauer Silberschmiede, einschließlich der Abbildung ihrer bekannten Werke.
BZ u. Tabelle Hanau mit Lit.-Verzeichnis[...]
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