Aufgrund erhaltener kirchlicher und profaner silberner Gegenstände, die auch archivalisch gut dokumentiert sind, ist die Goldschmiedekunst der großen Städte des heutigen Hessen, wie Frankfurt, Mainz, Darmstadt und Kassel relativ gut erforscht und Einiges über Hanau und Marburg bekannt.1
Aber selbst dort fehlen durchgehend die Beschauzeichen (BZ) und Meisterzeichen (MZ) oder existieren nur in schlechter Abbildungsqualität. Beiträge aus neuerer Zeit mit erweiterten Meisterlisten, guter Darstellung der BZ und MZ, sind keineswegs vollständig2 oder zeigen keine oder nur wenige Objekte.3
Noch viel unbefriedigender blieb die Situation bei dem Versuch, Hinweise über Goldschmiede und ihre Arbeiten in den kleinen Landstädten Hessens zu erhalten. Profanes Silber aus ihren Werkstätten blieb – abgesehen von Besteckteilen – nur höchst zufällig erhalten, denn das für die reichen Bürger und den landsässigen Adel hergestellte Tafelsilber wurde fast ausnahmslos eingeschmolzen, um neues nach gerade herrschender Mode anfertigen zu lassen.
Das von Scheffler 1976 dokumentierte Kirchensilber dieser Orte war geschöpft aus „Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel“ oder von ihm zuarbeitenden nicht besonders dafür kompetenten Helfern vor Ort geliefert. Von den meisten der kleinen Landstädte kannte man nicht das Beschauzeichen.
Der Autor hatte Gelegenheit, das Kirchensilber der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck kennenzulernen und einschließlich der BZ, MZ, FZ und Details zu fotografieren und in Teilen in „Glänzendes Zeugnisse des Glaubens“ darzustellen.4
Da es sich ausnahmslos um silbernes Kirchengerät aus protestantischen Gemeinden handelt, kann das Fehlen profanen Silbers zu guten Teilen ausgeglichen werden. Denn abgesehen von Kelchen und Patenen, wurde alles weitere besonders in reformierter Zeit benötigte Gerät aus seinem Alltagsgebrauch herausgenommen und gab sich dann lediglich durch seine Widmungs- oder Stifterinschrift als Kirchensilber zu erkennen: Die Lavabo-Garnitur wurde zum Taufgerät, der Wein- oder Bierhumpen wurde zur Abendmahlskanne (siehe oben in Ziegenhain), der Teller zum Brotteller (siehe oben in Bosserode), die Toiletten- zur Hostiendose, der Sieb- oder Dessertlöffel zum Kelchlöffel.
Zusammen mit der in den letzten Jahren in Gang gekommenen Digitalisierung der Kirchenbücher in: „www.Archion.de“ und die Anlage einer Datenbank für „Alte Beschauzeichen deutscher Städte“ (http://silberpunze.piranho.de/Silber/index.php) ist es erstmals möglich, in loser Folge die oben geschilderten Lücken relativ vollständig zu schließen.
Ein Phänomen ist allen Orten mit über längere Zeit tätigen Goldschmieden gemeinsam und kann deswegen schon im Vorwort genannt werden, die Neigung zur Bildung von Goldschmiededynastien über oft fünf bis sechs Generationen.
Anmerkungen
1. Hallo, Rudolph, Die Kasseler Goldschmiede, in: Gold-Silber-Eisen, hg. vom Hessischen Landesmuseum in Kassel in Verbindung mit den Kasseler Ortsgruppen der Reichsverbände der Juweliere, Gold- und Silberschmiede und der Graveure und Ziseleure, S.7-50 und anschließende Nachträge und Abbildungen, Kassel,o.J (1929).- Rosenberg, Marc, Der Goldschmiede Merkzeichen, 4 Bde., 3.Aufl., Frankfurt am Main (Bd.4 Berlin) 1922-28.- Scheffler, Wolfgang, Goldschmiede Hessens. Daten, Werke, Zeichen, Berlin-New York 1976.
2. Kasseler Silber, AK. Staatliche Museen Kassel im Ballhaus am Schloß Wilhelmshöhe, Hg. Reiner Neuhaus u. Ekkehard Schmidberger, Eurasburg 1998.- Neuhaus, Reiner, Glänzende Zeugnisse des Glaubens, Das evangelische Patronatssilber Hessens, Regensburg o.J. (2014).- Schneider, Ina / Schmidberger, Ekkehard, Hanauer und Kasseler Silber, Hg. Hessische Brandversicherungsanstalt, Kassel 1981.
3. Zum Beispiel: Schmidt, Werner, Osthessen, Goldschmiedemarken: neue Forschungsergebnisse, Teil 3, in: WELTKUNST, 5, 1997, S. 830-31.- Ders., Eschweger Gold- und Silberschmiede, S. 37-46, in: Eschweger Geschichtsblätter, Geschichtsverein Eschwege 2004.
4. Neuhaus, Reiner, Glänzende Zeugnisse des Glaubens, Das evangelische Patronatssilber Hessens (Regensburg 2014).